Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schuldlosen (German Edition)

Die Schuldlosen (German Edition)

Titel: Die Schuldlosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
Heinrich habe ihren Bruder auf dem Gewissen, und nicht nur den. Heinrich habe kein Herz und keinen Funken Mitgefühl für andere im Leib. Er kenne bloß sich und seinen Vorteil, habe seinen geschwächten Mitgefangenen das Brot geklaut und ihnen nur die wenig nahrhafte Wassersuppe gelassen. Deshalb seien viele an Unterernährung gestorben.
    Konnte man das auch Mord nennen? Wenn ja, war es wohl Massenmord gewesen. Und dann musste man sich fragen, was die Garsdorfer vom Sohn eines Massenmörders erwarteten. Es konnte ja nicht jeder eine Brauerei führen.
    Zum Abendessen brühte er sich noch einmal extrastarken Kaffee auf. Eine ganze Kanne voll, acht Tassen insgesamt, die er genüsslich eine nach der anderen trank. Trotzdem schlief er die erste Nacht in Freiheit recht gut in der muffigen Bettwäsche eines möglichen Massenmörders, der ihn beinahe geköpft hätte.
    Nur einmal wachte er auf, weil der Kaffee auf die Blase drückte. Im ersten Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zu orientieren, steuerte eine Zimmerecke an, weil bislang das Klo in der Richtung gestanden hatte. Es fehlte nicht viel, dann hätte er in den Papierkorb neben seinem alten Schülerschreibtisch gepinkelt und am nächsten Tag noch ein bisschen mehr zu wischen gehabt.
    Morgens musste er zuerst die Heizung wieder anfeuern. Im Gegensatz zum diesig kühlen Donnerstag war der Freitag sonnig und mild. Aber das Haus kam ihm immer noch so kalt und klamm vor wie ein Grab.
    Nach einem opulenten Frühstück riss er sämtliche Fenster auf, um so viel frische Luft wie nur möglich hereinzulassen und vielleicht ein paar Geister hinaus. Trotz Durchzug geriet er dann beim Großreinemachen tüchtig ins Schwitzen.
    Er begann mit Küche und Speisekammer, wusch gründlich und akribisch Regale und Schränke aus, ließ den alten Geschirrspüler, der noch hervorragend funktionierte, zweimal leer durchs Hauptprogramm laufen, ehe er ihn mit Tassen, Tellern, Gläsern, Besteck, Töpfen und Pfannen bestückte.
    Anschließend nahm er sich noch einmal sein Zimmer und das dazugehörige Bad vor, wischte jede Ecke, schrubbte jede Ritze, das Klo und die Wanne, putzte die Fenster, die Fliesen, die Fußböden. Danach wusch er Bettwäsche und Handtücher, die Waschmaschine im Keller erfüllte ihren Dienst auch noch tadellos. Als Nächstes stopfte er die alten Klamotten aus seinem Schrank in die Trommel. Ob sie ihm noch passten, wollte er feststellen, wenn sie sauber und wieder trocken waren.
    Bis zum frühen Nachmittag waren sämtliche in der Waschküche gespannten Leinen bestückt. Es duftete betörend nach Lavendel, Oleander und Jasmin oder kleinen Kindern, deren Wäsche in dem Zeug weichgespült worden war.
    Zwischendurch lief er immer wieder ins Freie. Es war jedes Mal ein Erlebnis, das ihm Tränen in die Augen trieb. Das Leben wieder in den eigenen Händen halten, vor niemandem mehr kuschen müssen. Jederzeit rausgehen können, wie er sich das vorgenommen hatte. Und sei es nur in den Garten.
    Er rannte hinunter bis zu dem verrosteten und stellenweise eingesunkenen Maschendrahtzaun, der das Grundstück zur Greve absicherte. Den Zaun hatte der Hausmeisterdienst nicht in Schuss gehalten. Ansonsten konnte man kaum meckern, der Rasen sah gepflegt aus, Bäume und Ziersträucher ebenso. Sekundenlang stand er still, riskierte einen Blick auf das träge fließende Wasser der Greve, um festzustellen, ob der Geist von Janice aus den Fluten aufstieg, was natürlich nicht geschah. Die Geister hausten anderswo.
    Und wieder zurück zur Terrasse, Erinnerungen verscheuchen. Die rote Strickjacke im Dreck von Webers Garten, der etwa auf halber Strecke zwischen der Villa Schopf und dem Heckler-Haus lag. Der nackte Körper auf der schmuddeligen Couch in der Laube, die immer unverschlossen gewesen war. Das schwarze T-Shirt mit dem Abbild der Backstreet Boys auf der Brust und einem Riss an der Schulter. Und die Stimme, so vorwurfsvoll: «Bist du beknackt? Das Shirt war irre teuer. Das musst du bezahlen.»
    Nach Einbruch der Dunkelheit sprang er auch ein paarmal wie ein Derwisch ums Haus herum und vollführte Bocksprünge auf dem Vorplatz. Hätte ihn jemand dabei beobachtet, hätte der ihn garantiert für völlig durchgedreht gehalten. Aber es tat so gut, machte regelrecht besoffen.
    Vielleicht schlief er nur deshalb auch in der folgenden Nacht wie ein Stein, immer noch in der angestaubten Bettwäsche seines Vaters. In der Waschküche hingen zu viele Teile, um schnell zu trocknen. Inzwischen duftete der

Weitere Kostenlose Bücher