Die Schuldlosen (German Edition)
in Garsdorf.
Sie hätten vereinbart, dass er den Umzug nach Ramstein alleine bewältigen solle, sagte er. Ria wolle mit Silvie in eine fertig eingerichtete Wohnung kommen und sich nicht aufhalten müssen, Kisten auszupacken und Schränke einzuräumen.
Dass Ria ihn verlassen haben könnte, zog er nicht in Betracht. Sie habe doch schon Pläne für das Weihnachtsfest in Ramstein geschmiedet, sagte er. Da der Umzug unmittelbar bevorstand, nahm er an, Ria gönne sich einen kurzen Urlaub, eine Erholungspause frei von jeder Verantwortung und Pflicht. Schwangerschaft, Geburt und die ersten Monate mit Silvie seien für Ria sehr anstrengend gewesen. Und wenn sie in ein paar Tagen zurückkäme, sollte sie besser nicht erfahren, dass ihre Mutter und ihr Mann zwischenzeitlich miteinander telefoniert hatten. Damit es nicht peinlich wurde, wollte Gerd Appelt so tun, als hätte er keine Ahnung von Rias Abstecher in die Freiheit.
«Ja, darauf verstehen die Brüder sich», meinte Gottfried, als Franziska ihm abends von dem Gespräch berichtete. «Selbst wenn sie wissen, dass der Untergang bevorsteht, tun sie so, als wäre alles in Ordnung, und streuen dem gemeinen Volk Sand in die Augen. Du hättest ihn besser gebeten, uns das Kinderbett zu schicken. Sie werden ja wohl eins haben für die Kleine. Im Kinderwagen kann sie schließlich nicht ewig schlafen.»
«Muss sie doch auch nicht», sagte Franziska. «Wenn Ria …»
«Glaubst du im Ernst, dass Ria in ein paar Tagen wieder da ist?», unterbrach er sie rüde.
Ja, das glaubte Franziska. Ria hatte von einer Weile gesprochen. Eine Weile war kein Dauerzustand. Solange der General noch in England und mit dem Umzug beschäftigt war, durfte Ria sich sicher vor Entdeckung fühlen. Dass ihre Mutter allen Mut zusammengenommen und auf einem Nato-Stützpunkt angerufen hatte, der Gedanke wäre Ria vermutlich nie gekommen. Dass ihr Mann nach Garsdorf käme, um sie zu besuchen oder zu kontrollieren, stand auch nicht zu befürchten. Wenn Ria sich bei ihm meldete, wie sie es vorgestern getan hatte, bestand nicht einmal die Gefahr, dass er bei seinen Schwiegereltern anrief.
Aber Ria meldete sich im Dezember nicht noch einmal, weder bei ihrem Mann noch bei ihren Eltern. Der General saß zu Weihnachten alleine in Ramstein, na ja, nicht völlig allein. Der Dienst fürs Vaterland ging auch für andere über die Feiertage weiter. Er war ebenso ratlos wie Franziska, mit der er am Heiligabend lange telefonierte. Es hätte keine Anzeichen gegeben, dass Ria unglücklich mit ihm sei, sagte er. Dass Ria einen anderen Mann kennengelernt hatte und mit dem durchgebrannt war, schloss er aus. Dazu hätte Ria während ihrer Schwangerschaft und nach Silvies Geburt weder die Zeit noch die Gelegenheit gehabt, meinte er.
Nach den Feiertagen schickte er Geld für Silvies Unterhalt und erklärte, wie dankbar er sei, dass Franziska sich um das Baby kümmerte. Was hätte sie denn sonst tun sollen mit einem Säugling, der aussah wie Mariechen?
Bis Mitte Januar ging Franziska davon aus, es sei nur vorübergehend. Dass Ria über kurz oder lang wiederauftauchte und eine fadenscheinige Erklärung für ihr wochenlanges Ausbleiben bot. Doch dann schickte Ria eine Postkarte aus Sydney. Nur ein paar Worte. «Sorry, Mama, ging nicht anders. Jetzt sind wir quitt.»
«So was hab ich mir schon gedacht», sagte Gottfried, als er von der Arbeit kam.
«Wie meint sie denn das?», fragte Franziska. «Jetzt sind wir quitt. Was soll das heißen?»
«Kannst du dir das nicht denken?», sagte Gottfried, fuhr zurück nach Grevingen und kaufte ein Gitterbett samt Zubehör. Tags darauf brachte er einen Schrank und ein Regal mit und begann, das seit Jahren ungenutzte ehemalige Schlafzimmer seiner Eltern für Silvie herzurichten.
Er klebte neue Tapeten an die Wände, verlegte Teppichboden und hängte eine Lampe auf, deren Schirm mit lustigen Hasenmotiven beklebt war. Übers Bettchen kam ein Mobile, ins Regal legte er ein paar Bilderbücher und Plüschtiere. Für neue Gardinen war Franziska zuständig.
Der General fand sich schnell damit ab, dass ihm die Frau wider Erwarten doch davongelaufen war. Ob nun allein oder mit einem anderen, vielleicht einem Australier oder einem Engländer, der nach Australien versetzt worden war, spielte für ihn keine Rolle. Er dachte nicht daran, offizielle Stellen nach Ria suchen zu lassen. Vielleicht hatte er Angst, es würde seiner Karriere schaden. Oder er sah es wie Gottfried, der sagte: «Was sollen
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