Die Schuldlosen (German Edition)
Hose nach Hause.
Frau Steffens berichtete es Franziska, nannte auch den Grund. Franziska überlegte wieder, ob sie nach Grevingen fahren und mit Albert Junggeburt persönlich … Aber nachdem die Haushälterin sich bei einer Bekannten ausgeweint hatte … Es sah wahrhaftig nicht danach aus, dass es Albert großartig kümmerte, wie sein kleiner Bruder herumlief.
Cecilia war im März auch nur aktiv geworden, weil Frau Schmitz sich geweigert hatte, Alex zum Einschulungstest zu begleiten.
«Was soll ich dem Jungen denn anziehen?», hatte die treue Seele gefragt. «Er hat nicht eine einzige lange Hose im Schrank. Wenn er nicht zu diesem Test erscheint, rückt garantiert bald das Jugendamt hier an. Das wäre die beste Lösung.»
Sicher. Aber nicht im Sinne der Familie Junggeburt, die hielten ihre Macken lieber unter Verschluss. Also hatte Cecilia sich einmal seiner angenommen, für ihn eingekauft und ihm den Zopf abschneiden lassen. Als ob es damit getan gewesen wäre.
Und dann kam so ein sonnig milder Tag Anfang September, wie geschaffen für einen langen Spaziergang mit Silvie. Die Kleine lief bereits an einer Hand. Noch lieber schob sie den sportlichen Buggy, den Gottfried angeschafft hatte. Im Dorf quengelte Silvie, weil Franziska sie in den Buggy setzte, um schneller voranzukommen. Sie mochte nicht alle paar Meter angesprochen und gefragt werden, was Ria denn so mache. Das passierte regelmäßig, wenn sie in Silvies Tempo unterwegs waren.
Franziska wusste nicht, was Ria machte, wo und wovon oder mit wem Ria lebte. Die Karte aus Sydney, die sie zu Jahresbeginn geschickt hatte, war das letzte Lebenszeichen gewesen. Seitdem hatte Franziska schon unzählige Male geträumt, dass es abends an der Tür klingelte wie an dem Mittwoch im Dezember, dass Ria draußen stand, ohne Zigarette im Mundwinkel, natürlich auch ohne Kind, dass Ria sie anlachte und sagte: «Da bin ich wieder, Mama. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Wie geht’s meiner Süßen? Ich hoffe, sie war brav und hat dir nicht zu viel Mühe gemacht.»
«Jetzt kannst du laufen», sagte Franziska, als sie die Breitegasse erreichten. Und Silvie lief, schob ihren Buggy im Zickzack von einer Straßenseite zur anderen. Franziska folgte gemächlich, griff nur korrigierend ein, wenn es notwendig wurde, und hing ihren Gedanken nach.
Auf Höhe des Heckler-Hauses kam ihnen ein Kind mit einem Puppenwagen entgegen. Alexander. Franziska erkannte ihn sofort. Er trug ein luftiges Sommerkleidchen, weiße Kniestrümpfe und weiße Sandalen. Die dunklen Haare wurden an den Seiten von den Hornspangen gehalten.
Im Näherkommen lächelte er Franziska an. Dass er sie nach dem kurzen Blick auf dem Friedhof wiedererkannte, glaubte sie kaum, dafür lag diese Begegnung schon zu viele Monate zurück. Frau Steffens erzählte oft, er lächle jeden an, und die Klassenlehrerin behaupte, auf die Weise suche er Anerkennung und Zuspruch, was Frau Steffens jedoch bezweifelte.
«Sein Unschuldslächeln ist reine Verschlagenheit. Damit kann er die gutgläubige Frau Sattler einwickeln. Mich täuscht er nicht. Der ist tückisch. Warten Sie mal ab, wenn der älter wird, Frau Welter. Der lächelt Sie an, und wenn Sie ihm den Rücken zukehren, haben Sie ein Messer im Kreuz.»
Als Franziska sein Lächeln erwiderte, ließ er den Puppenwagen los und ging neben Silvie in die Hocke. «Wie heißt du?», fragte er die Kleine.
«Silvie», antwortete Franziska für das Kind. «Aber das kann sie noch nicht sagen.»
Silvie brabbelte ihrem Alter entsprechend Kauderwelsch, dem nur Franziska eine Bedeutung zuordnen konnte.
«Bebe», sagte Silvie. Das sollte Baby heißen und schloss alles ein, was menschlich aussah und eine bestimmte Größe nicht überschritt. Der hockende Junge war für sie ebenso «Bebe» wie ihr eigenes Spiegelbild und die Puppe in seinem Wagen.
«Nein», widersprach Franziska sehr betont, «das ist kein Baby, das ist Alexander, er ist schon ein großer Junge .»
Offenbar schmeichelte ihm diese Zuordnung. Er richtete sich auf, nahm die Puppe aus seinem Wagen und hielt sie Silvie hin. «Das ist auch kein richtiges Baby», erklärte er gewichtig. «Aber sie kann sprechen, hör mal.» Dabei nestelte er unter der Puppenkleidung nach einer Schnur und zog daran.
«Ich heiße Susi», schnarrte die Puppe. «Wie heißt du? Magst du mit mir spielen?»
Silvie klappte vor Staunen der Unterkiefer herunter. Sie ließ den Buggy los und grabschte schwankend mit beiden Händen
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