Die Schuldlosen (German Edition)
nicht freiwillig bei dir abliefert, spielst du eben Rumpelstilzchen. Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich mir der Königin ihr Kind. »
«Du hältst mich auch für einen Penner», stellte Alex fest.
«Blödsinn!», wies Lothar ihn zurecht. «Wie ein Penner läufst du nun wirklich nicht herum. Sieh dich doch mal an. Und ein Penner sorgt sich nicht um seine Kinder.»
«Wo ist der Unterschied, ob mir Fremde was in den Hut werfen, obwohl ich nicht mal musizieren kann, oder ob mein Bruder mich dafür bezahlt, dass ich mich nicht in der Brauerei blicken lasse?»
Darauf gab Lothar ihm keine Antwort.
Alex lachte kehlig. «Nicht mal meine Mutter glaubt noch daran, dass ich irgendwann imstande sein könnte, selbst für mich zu sorgen.»
«Na ja», meinte Lothar. «Nennenswerte Anstrengungen hast du bisher ja auch nicht unternommen. Und jetzt ist es ein bisschen spät, um noch eine Ausbildung anzufangen. Außerdem bist du den ganzen Tag mit Kind und Haushalt beschäftigt. Aber du bist weiß Gott nicht der einzige Hausmann in der Region. Also reg dich wieder ab.»
«Ich könnte in einer Putzkolonne anheuern», sagte Alex, als hätte er gar nicht zugehört. «Oder als Koch. Putzen und kochen kann ich. Köche arbeiten meistens am Abend, dann werden auch viele Bürogebäude gereinigt. Um sechs ist Heike immer zu Hause. Dann wäre sie bei den Kindern, wenn ich zur Arbeit muss.»
«Heißt das, du willst doch mit Albert reden? – Mensch, sei vernünftig. Das könnte übel ins Auge gehen. Was machst du, wenn Heike dich in drei oder vier Jahren aus der Eigentumswohnung wirft? So wie ich sie kenne, wird sie kaum sagen: ‹Schatz, es war deine Abfindung, es ist deine Wohnung.› Und kein Richter wird sie mit zwei kleinen Kindern so mir nichts, dir nichts auf die Straße setzen. Vor allem nicht, weil du mit der Villa ein Ausweichquartier hast. Du hättest dann bloß kein Einkommen mehr.»
Alex zuckte mit den Achseln und schwieg auf dem restlichen Wegstück.
Vor der Gaststätte gab es wie üblich keinen freien Parkplatz. Alex musste zweimal um die Ecke fahren, ehe er eine Lücke fand. Dann gingen sie zurück, Lothar lief vorneweg. Als er die Eingangstür des Lokals aufstieß, meinte er noch: «Vielleicht wären wir besser nach Grevingen gefahren. Da hätten wir schneller was in den Magen bekommen, schätze ich.»
Wie immer an einem Samstagabend war die Linde gerammelt voll. An den sechs Tischen entlang der Fensterfront wurde gegessen. Vor dem L-förmigen Tresen standen die Dorfjugend und etliche Ewigzwanziger in Dreierreihen. Nur in der äußersten Ecke, am kurzen Schenkel der Theke, war noch etwas Platz.
Lothar quetschte sich vor Alex her durch die Menge dorthin. Als der Gastwirt sich ihm zuwandte, bestellte er für sich ein Schopf-Bier und einen Burger mit extra Röstzwiebeln und Pommes. Er musste regelrecht brüllen, um sich im Stimmengewirr ringsum verständlich zu machen. «Was nimmst du?», fragte er Alex.
«Ein Bier und einen Klaren», kam die Antwort. «Hunger hab ich keinen.»
«Denk daran, dass du noch fahren musst …», begann Lothar, brach dann aber seine Predigt ab und streckte die Hand aus. «Autoschlüssel. Wenn du mit einem Klaren und dem Bier aufhörst und doch noch etwas isst, bekommst du ihn später zurück. Sonst fahr ich dich heim.»
Sie hatten die Getränke noch nicht erhalten, als ein enthusiastisches «Huhu» zu ihnen herüberdrang. Alex reagierte nicht, obwohl er die Stimme vermutlich noch gut kannte. Lothar, dem sie nicht so vertraut war, hielt unwillkürlich Ausschau und entdeckte nahe dem Eingang eine heftig winkende Hand.
Janice Heckler verrenkte sich fast den Arm und den Hals, um über drei Dutzend Köpfe hinweg auf sich aufmerksam zu machen. Dabei brüllte sie erneut aus Leibeskräften gegen alle anderen an. «Huhu, Alex!»
Drei Gläser wurden vor sie hingestellt. Alex kippte den Schnaps in einem Zug, spülte mit Bier nach und tat weiterhin, als bemerke er nichts von Janice. Da sie sich jedoch in ihre Richtung schlängelte, gelang ihm das nur noch wenige Sekunden lang. Dann hatte die Dorfmatratze den kurzen Schenkel des Tresens erreicht.
Sie trug eine hautenge schwarze Satinhose, die sehr tief auf den Hüften saß, ein knappes, lilafarbenes Neckholder-Top und High Heels an den nackten Füßen. Glitzersteinchen auf der rechten Wange und silbrige Ornamente auf den schwarzen Gel-Fingernägeln komplettierten das Erscheinungsbild und machten deutlich, dass Janice noch etwas
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