Die Schuldlosen (German Edition)
erinnerte sich nur an zwei Abende, an denen Alex so neben der Spur gewesen war wie heute. Kurz nach der Trennung von Silvie war das gewesen. Da hatte er sich im Vollrausch auch als «nichts Hundertprozentiges» bezeichnet.
Alex hatte gerade wieder eingepackt und war dabei, den Reißverschluss seiner Jeans hochzuziehen, was ihm in seinem Zustand jedoch nicht gelang. Der Schlitten verhakte sich im Stoff, ließ sich nicht mehr vor- und nicht mehr zurückschieben. Er zerrte daran und fluchte leise vor sich hin, als Janice ins Männerklo schlüpfte und zufrieden feststellte: «Da komme ich ja genau richtig.»
Sie war mit zwei Schritten bei ihm, erkannte sein Problem und sagte: «Vorsicht, mach ihn nicht kaputt. Lass mich mal.»
Statt um den verhakten Reißverschluss bemühte Janice sich allerdings lieber um den Inhalt seiner Hose, schob ihn dabei rückwärts auf eine der beiden Kabinen zu und raunte: «Verstehe ich doch, dass du vor Lothar und den Leunens den Sittsamen spielen musst. Aber jetzt sind wir ganz allein. Jetzt darfst du tun, wozu du Lust hast.» Mit ein paar geschickten Handgriffen hatte sie seinen Gürtel geöffnet.
Er protestierte mit schwerer Zunge: «Eh, lass den Scheiß. Ich hab zu überhaupt nix Lust. Lass mich los.»
Sie dachte nicht daran, schob mit der freien Hand ihr Top hoch, presste den nackten Oberkörper gegen seine Brust und murmelte etwas über den Unterschied zwischen knackigem und fettem Fleisch. Er packte sie an den Schultern, stieß sie unsanft zurück.
Das beeindruckte sie auch nicht. Sie taumelte zwar kurz, fing sich aber sofort, kam wieder heran und gurrte: «Jetzt sei doch nicht so zickig. Früher warst du immer ganz wild auf meine Titten. Weißt du noch, wie du mir das T-Shirt von den Backstreet Boys heruntergerissen hast? Das war eine echt heiße Nummer. Hast du so was mit Heike auch schon erlebt? Garantiert nicht. Weißt du, wie sie dich nennt, wenn sie die Beine breitmacht und dabei über dich herzieht?»
Das klang, als würde Heike ihn betrügen, und Janice wüsste entschieden mehr als nur mit wem.
«Wie denn?», fragte er, überrumpelt von dieser Taktik.
«Wenn du lieb zu mir bist», säuselte sie, «verrate ich es dir.»
Schon hatte sie ihn erneut gepackt, legte ihm einen Arm in den Nacken, zog seinen Kopf herunter, versuchte ihn zu küssen und schob ihn erneut auf die Kabine zu. Er stemmte eine Hand gegen ihre nackten Brüste, versuchte mit der anderen, seine Hose zu schließen, und verlangte Auskunft. Bei einem zufälligen Beobachter mochte das den falschen Eindruck wecken. Und genau in dem Moment ging die Tür auf.
Janice begann sofort zu schreien: «Hör auf! Lass mich los! Du sollst mich loslassen! Ich will das nicht! Jetzt nicht mehr! Hilfe! Warum hilft mir denn keiner?»
«Blöde Kuh», grummelte Alex verständnislos. Da traf ihn auch schon eine Faust seitlich am Kopf.
Lothar wurde durch die Kellnerin auf den kleinen Tumult im Gang vor den Toiletten aufmerksam gemacht. Bei dem Krach in der Gaststube hatte er nichts davon gehört. Und die Kellnerin sagte nur: «Du kümmerst dich besser mal um deinen Freund. Dem geht’s gerade nicht so gut.»
So gab es für den Polizisten am Tisch keine Veranlassung, sich Lothar anzuschließen. Bernd Leunen nahm ebenso wie Lothar an, dass Alex infolge all der Schnäpse übel geworden sei und er sich gerade die Seele aus dem Leib kotzte.
Als Lothar den Gang erreichte, wurde Janice vor dem Männerklo von ihrem Retter getröstet und betatscht. Der Junge war höchstens achtzehn und nutzte die Gelegenheit, um festzustellen, wie sich das bei einer älteren Frau anfühlte. Janice war immerhin schon zweiundzwanzig und sah etwas ramponiert aus. Die knappe Satinhose war seitlich eingerissen. Die hielt sie mit einer Hand zusammen. Das Top lag zu einem festen Ring gezwirbelt über ihren Brüsten.
Die drei, die im Klo vor Alex herumtänzelten, waren auch nicht viel älter als der Knabe im Gang. Lothar kannte sie nur flüchtig, weil man die nachwachsenden Männer eines Dorfes meist nur noch aus den Augenwinkeln wahrnimmt. Für ihn waren das halbe Kinder, auch wenn zwei von ihnen ihm an Größe und Gewicht bereits überlegen waren.
Alex lehnte mit halboffenem Hosenstall neben einem Urinal an der Wand und schien gar nicht zu erfassen, was um ihn herum vorging. Er blutete aus einer Platzwunde an der Schläfe. An seinem Hals hatte Janice sich noch rasch mit ein paar Schrammen verewigt. Mit stierem Blick versuchte er, die drei vor ihm
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