Die Schuldlosen (German Edition)
auch immer eingesprungen, wenn Alex keinen Bock mehr hatte. Aber da warst du auch noch solo, mein Lieber. Jetzt ist mir das Risiko zu groß. Deine Zicke würde mir glatt den Schädel einschlagen, wenn sie dahinterkäme, dass ich dir noch mal den Unterschied zwischen lauwarmem Kuschelsex und einer richtig heißen Nummer gezeigt habe.»
«Wie bitte?», fuhr Lothar auf. «Noch mal? Das nimmst du auf der Stelle zurück. Dich habe ich nie angefasst und würde das auch niemals tun, nicht mal, wenn wir beide die allerletzten Menschen wären.»
«Dann fick dich doch selbst», empfahl Janice, rutschte von der Fensterbank, warf dem jungen Polizisten ungeachtet der Frau an seiner Seite einen verheißungsvollen Blick und eine Kusshand zu und kämpfte sich zurück zum Tresen.
Alex schaute ihr mit finsterer Miene nach, kippte den Rest aus seinem Bierglas hinunter. «Woher weiß die, dass Heike wieder schwanger ist?», fragte er Lothar. «War das etwa schon ein Thema in der Bäckerei, ehe Heike beim Arzt war?»
«Keine Ahnung», sagte Lothar, obwohl er eine Vermutung hatte. Janice zog häufig mit einer Arzthelferin aus der gynäkologischen Praxis herum. Silvie hatte deshalb vor geraumer Zeit gewechselt und ging nun zu einer Frauenärztin, weil sie sicher war, dass man es unter Freundinnen nicht so genau nahm mit der Schweigepflicht, die nicht nur für Ärzte galt, auch für deren Mitarbeiterinnen.
Der Burger wurde serviert, wie üblich umrahmt von einem Berg Pommes. Alex bestellte noch zwei Bier und zwei Klare.
«Für mich ein Alkoholfreies», verlangte Lothar.
«Also nur einen Schnaps», schlussfolgerte die Kellnerin.
«Die sind beide für mich», sagte Alex und stibitzte eine Pommes von Lothars Teller, an der er gedankenverloren knabberte. Lothar nahm sein Besteck auf und begann zu essen.
«Woher weiß die das?», kam Alex auf Janice zurück, warf einen Blick unter halbgesenkten Lidern zum Tresen, wo die Matratze so dicht von einem Pulk junger Männer umringt war, dass man sie in der Masse nur noch erahnen konnte.
«Ist doch nicht wichtig», sagte Lothar und schob ihm den Teller zu. «Nimm noch ein paar Pommes. Das sind so viele, die schaffe ich alleine nicht.»
Alex griff noch einmal zu, hielt sich danach aber lieber an flüssige Nahrung. Ab und zu hob er den Arm, um Bier und weitere Schnäpse zu ordern. Immer zwei auf einmal, bis die Kellnerin fragte: «Warum bestellst du nicht gleich einen Doppelten?»
«Mach mir lieber mal ein Bierglas voll mit dem Zeug», verlangte er, seine Sprache war schon ziemlich verwaschen.
Die Kellnerin brachte ihm das Gewünschte.
«Willst du dich ins Koma saufen?», fragte Lothar, als Alex das Bierglas ansetzte und trank, als wäre Wasser drin.
«Gute Idee. Dann könnte ich mal eine Weile richtig abschalten und an gar nichts mehr denken. Das ist ein beschissenes Gefühl, der eigenen Mutter beim Sterben zuzusehen. Sie freut sich auch noch darauf, ist überzeugt, dass ihr Bruder, ihre Eltern und Alexa schon auf sie warten. Jetzt braucht sie mich wirklich nicht mehr. Ich war ja auch nie was Hundertprozentiges.» Seine Unterlippe zitterte, es sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
«Saskia braucht dich», versuchte Lothar ihn zu trösten. «Das ungeborene Baby braucht dich. Heike braucht dich. Das sind drei Leben gegen eine alte Frau, die schon vor deiner Geburt lebensmüde war. Du solltest dich mal mit Silvies Oma unterhalten. Die kann dir Geschichten von früher erzählen, da schnallst du ab.»
Alex nickte versonnen, nahm das Glas wieder hoch und trank aus. Anschließend erhob er sich schwankend. Familie Leunen ächzte über den Resten auf ihren Tellern, die beiden Frauen hatten noch nicht mal die Hälfte ihrer Schnitzel geschafft. Bernd und sein Vater überlegten, ob sie noch etwas trinken oder lieber zahlen sollten. Den Frauen wäre ein rascher Aufbruch wohl lieber gewesen, sie beäugten Alex misstrauisch.
«Wo willst du hin?», fragte Lothar.
«Nur pinkeln», nuschelte Alex. «Mit Silvies Oma unterhalte ich mich morgen. Ist mir heut schon zu spät dafür.»
Damit entfernte er sich vom Tisch. Die Toiletten lagen am anderen Ende des Lokals. Lothar schaute ihm besorgt nach, bis er von der Menge verschluckt wurde. Dann wandte er sich Bernd Leunen zu und verlor ein paar Worte über Helene Junggeburts kritischen Zustand, in der Hoffnung, damit etwas Verständnis für Alex zu entfachen.
Dass er sich dermaßen betrank, war seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Lothar
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