Die Schule der Nacht
herausbrachte.
Gabriel ließ sich in einigem Abstand neben ihr auf dem Quader nieder. »Ich bin ein Vampir, schon vergessen?«, sagte er sanft. »Unsere Wunden heilen schnell. Was nicht heißt, dass sie nicht höllisch wehtun.«
»Du wolltest mich beißen!«, hielt sie aufgebracht dagegen. »Ich dachte, du würdest mich umbringen, genau wie du Isabelle umgebracht hast.«
»Ich hatte nicht wirklich vor, dich zu beißen, April«, sagte er. »Und ich habe Isabelle nicht getötet. Ich wollte dir nur zeigen, wer… was ich wirklich bin. Ich wollte, dass du es mit eigenen Augen siehst.«
»Aber warum hast du es mir nicht einfach von Anfang an gesagt?«
Gabriel sah sie von der Seite an. »Kannst du dir die Frage nicht selbst beantworten?«
April seufzte. »Schon gut. Kommt wahrscheinlich nicht so gut an, wenn du dich Leuten als blutsaugender Dämon vorstellst.«
»Wir sind keine Dämonen«, widersprach er heftig.
»Du redest die ganze Zeit im Plural – dann gibt es also noch mehr von deiner Sorte?«
»Mehr, als du glauben würdest.«
Und auf einmal begriff April, dass alles wahr war. Alles. Es gab die Nester, es gab den Regenten, und es gab den Highgate-Vampir – alles, was sie in Mr Gills Laden in dem Buch gelesen hatte, stimmte. »Oh mein Gott«, wisperte sie, und heiße Scham stieg in ihr auf, als sie daran dachte, wie sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, wie sie ihn dafür verhöhnt hatte, dass er in seinem Alter noch an Monster glaubte. Dabei hatte er die ganze Zeit recht gehabt.
»Und wo sind sie?«, fragte April. » Wer sind sie? Woran erkenne ich, wer ein Vampir ist und wer nicht?«
Gabriel zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht so einfach.«
»Jetzt hör mir mal gut zu, Gabriel Swift«, entgegnete April, in der plötzlich unbändige Wut aufloderte. »Entweder du bringst mich um und saugst mir mein Blut aus den Adern, oder du hörst endlich – endlich! – auf, in Rätseln zu sprechen. Ich hab die Nase nämlich langsam gestrichen voll davon, verdammt noch mal!«
Gabriel warf lachend den Kopf in den Nacken, verstummte dann aber schlagartig und drückte sich stöhnend eine Hand auf den Bauch. »Du bist definitiv etwas ganz Besonderes, April Dunne.«
»Was? Willst du dich jetzt auch noch lustig über mich machen?«, fauchte April.
»Na ja, die meisten Menschen werden halb wahnsinnig vor Angst oder betteln um ihr Leben, wenn sie das erste Mal mit einem Vampir konfrontiert werden, aber du rammst ihm ein Messer in den Bauch und machst ihm eine Szene.«
Jetzt musste selbst April kichern. Sie presste sich die Hand auf den Mund, aber das Kichern verwandelte sich in hysterisches Lachen, und dann brach sich mit einem Mal die ganze Anspannung des Tages Bahn, und sie wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt, und die Tränen strömten ihr nur so übers Gesicht. Gabriel rückte näher, legte ihr einen Arm um die Schulter und drückte sie an sich, und obwohl sie ihn eigentlich hätte wegstoßen sollen, schmiegte sie sich fest an ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. Trotz ihrer Angst hatte seine Umarmung etwas unglaublich Tröstliches.
»Dann bist du also wirklich ein Vampir, hm?«, schniefte sie schließlich, als der Tränenstrom allmählich versiegte, kramte nach einem Taschentuch und schnäuzte sich die Nase.
»Ich fürchte, ja.«
»Und wie ist das so?«
»Schwierig.«
Sie schnaubte. »Das kann ich mir vorstellen.« Sie stand vorsichtig auf, um zu prüfen, wie es ihrem Knie ging, das tatsächlich schon ein bisschen weniger wehtat. »Komm, lass uns ein bisschen gehen«, sagte sie und stützte sich zögernd auf den Arm, den er ihr anbot. »Aber wehe du fährst noch einmal deine Fangzähne aus.«
Die beiden schlenderten entlang des Ufers zurück und betrachteten schweigend den träge fließenden dunklen Strom, auf dessen Wasseroberfläche sich die Lichter der umliegenden Gebäude spiegelten. Plötzlich blieb April stehen und sah ihn an.
»Wie alt bist du eigentlich?«
Gabriel zögerte, bevor er antwortete. »Ich bin 1870 geboren worden.«
»Großer Gott, das ist… das ist doch total verrückt! Dann bist du also unsterblich? Heißt das, dass du ewig lebst? Hast du immer schon so ausgesehen wie jetzt?«
Gabriel strich sanft über ihre Hand, und April stellte überrascht fest, dass sie diesmal nicht zusammenzuckte.
»Du solltest nicht versuchen, alles auf einmal zu verstehen, April«, sagte er. »Es ist unglaublich schwer, es zu begreifen, aber es ist wahr.«
Mittlerweile waren sie im
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