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Die Schule der Nacht

Die Schule der Nacht

Titel: Die Schule der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Mia
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hinunter. »Ein paar Halbstarke, in Wirklichkeit waren sie fast noch Kinder, hatten ein Mädchen überfallen und versuchten, ihre Tasche zu stehlen. Und da bin ich ihr zu Hilfe geeilt.«
    »Du Held!«
    »Na ja.« Er räusperte sich verlegen. »Ist nicht so gut gelaufen für mich. Ich bin übel verprügelt worden. Am Ende war es das Mädchen, das die Kerle von mir runterzog. Ziemlich peinlich das Ganze.«
    »Und danach wurde sie deine Freundin?«
    Er nickte. »Ja, Lily, so hieß sie, wurde meine Freundin – meine Verlobte, um genau zu sein. Sie war wunderschön, das süßeste Geschöpf, das man sich vorstellen konnte, aber sie hatte auch einen unglaublich starken Willen. Sie hasste die Einschränkungen, die ihr Geschlecht ihr auferlegte, und konnte sich nicht damit abfinden, dass andere ihr vorschreiben wollten, wie eine Frau sich zu benehmen hatte.«
    »Da bin ich ganz ihrer Meinung.«
    »Sie ist immer fuchsteufelswild geworden, wenn ihr irgendjemand gesagt hat, dass eine junge Frau nicht allein spazieren gehen sollte, obwohl sie ja am eigenen Leib erlebt hatte, in welche Gefahr sie sich dadurch brachte. Sie hatte einen scharfen Verstand und zu allem eine ganz eigene Meinung. Jedenfalls verliebten wir uns ineinander, und kurz darauf fragte ich sie, ob sie meine Frau werden wolle.«
    »Und was ist schiefgelaufen?« April konnte kaum fassen, dass sie tatsächlich auf eine Frau eifersüchtig war, die vor über hundert Jahren geboren worden war. Aber so, wie der Abend bis jetzt verlaufen war, hätte es sie nicht gewundert, wenn sich herausgestellt hätte, dass Gabriels wunderschöne, kluge Verlobte ebenfalls noch am Leben war.
    Gabriel ließ den Blick über den Fluss wandern. »Sie wurde krank. Schwindsucht – heutzutage nennt man es Tuberkulose. Es ist wahrscheinlich schwer für dich, dir vorzustellen, welche Zustände vor hundert Jahren in London herrschten, aber die Lebensbedingungen waren einfach schrecklich. Überall Krankheit und Hunger. Ganze Familien ertränkten sich in der Themse, um dem Hungertod zuvorzukommen. Und die Tuberkulose war die schlimmste Seuche von allen. Man musste nur an einem infizierten Hustenden vorbeilaufen, schon konnte man sich anstecken.«
    Mittlerweile waren sie am Ende der Fußgängerbrücke angekommen, und Gabriel half April galant die Stufen hinunter. Sie schlenderten den Uferweg entlang auf das Riesenrad zu, um das ringsum ein kleiner Jahrmarkt aufgebaut war, und blieben einen Moment lang stehen, um ein paar Kindern zuzuschauen, die lachend und kreischend auf einem alten Karussell im viktorianischen Stil fuhren.
    »Es brach mir das Herz, zusehen zu müssen, wie sie vor meinen Augen immer schwächer wurde«, sagte Gabriel. »Jedes Mal, wenn sie hustete, krümmte sie sich unter Schmerzen und spuckte Blut in ihr Taschentuch. Im Laufe der Zeit breitete sich die Krankheit auch auf ihrer Haut aus, und sie bekam entsetzliche eiternde Geschwüre, verlor immer mehr Gewicht, und schließlich befiel sie auch ihre Knochen, sodass sie kaum noch laufen konnte. Ich hätte alles getan, um sie zu retten.«
    Er hielt einen Moment lang inne und blickte zum Nachthimmel auf.
    »Es gingen damals Gerüchte um, dass sich in der Nähe der Kirche von Spitalfields schlimme Dinge ereignet haben sollen – das war, noch bevor Jack the Ripper in London sein Unwesen trieb. Man erzählte sich, dass dort Tote wiederauferstanden seien. Das Viertel war damals ein ziemlich düsterer Ort, selbst tagsüber schaffte es die Sonne kaum, den dichten Smog zu durchdringen, der ständig in den Straßen hing. Verbrecher und Taschendiebe konnten tun und lassen, was sie wollten, weil sie inmitten der Nebelschwaden einfach ungesehen verschwinden konnten. Ein Studienfreund von mir wohnte in einer Pension in Whitechapel, weil die Mieten dort günstiger waren. Irgendwann schloss er sich einer Gruppe ziemlich übler Kerle an, feierte wilde Trinkgelage mit ihnen und besuchte Opiumhöhlen. Eines Abends erzählte er mir von den Vampiren. Er sprach in ehrfürchtig gedämpftem Tonfall von ihnen, als würde er über die königliche Familie reden. Ich habe ihm genauso wenig geglaubt wie du mir, bis er mir dann seine Narben zeigte. Die Vampire benutzten ihn als ›Spender‹. So nennen wir diejenigen Menschen, die Vampiren erlauben, von ihrem Blut zu trinken. Er hatte eine Idee, wie Lily zu retten war, und redete auf mich ein, dass sein ›Meister‹ Lily wandeln könne, dass sie vollkommen gesund werden könne, wenn sie ihm erlauben würde,

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