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Die Schule der Nacht

Die Schule der Nacht

Titel: Die Schule der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Mia
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Schatten der Hungerford Bridge angekommen.
    »Wie geht es deinem Knie?«, fragte er.
    »Besser«, antwortete sie. »Aber viel wichtiger ist wohl die Frage, wie es dir geht?« Sie blickte sich um und senkte die Stimme. »Hör zu, es tut mir leid, dass ich dir das Messer in den Bauch gerammt habe.«
    »Komm mit«, sagte er, »ich möchte dir etwas zeigen.« Er hob April mühelos in seine Arme und lief mit ihr die Treppe zur Jubilee Footbridge hinauf.
    »Hey!«, protestierte sie. »Ich bin doch nicht behindert.«
    »Ich weiß«, grinste er. »Und jetzt halt bitte den Mund und beschwer dich nicht, ich versuche doch nur, nett zu dir zu sein. Dafür dass du mich gerade niedergestochen hast, bin ich sogar extrem nett.«
    April hielt den Mund. Sie nahm es ihm zwar immer noch ein bisschen übel, dass er ihr nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hatte – ganz abgesehen davon, dass die Tatsache, dass er tatsächlich ein Vampir war, sie sehr verstörte –, aber es war… na ja… es war ein schönes Gefühl, von einem Jungen die Treppe hochgetragen zu werden. Ruhe in Frieden, Feminismus, dachte sie mit einem kleinen Lächeln. Oben angekommen, stellte Gabriel sie wieder sanft auf die Füße, und sie gingen über die Brücke. Das London Eye, das derzeit höchste Riesenrad Europas, ragte als schimmernde Scheibe hoch über dem Südufer auf.
    »Ist es nicht wunderschön?«, flüsterte April. »Ich glaube, ich habe die Themse noch nie bei Nacht gesehen. Jedenfalls nicht von so Nahem.«
    Gabriel nickte. »Früher habe ich in der Nähe des Flusses gewohnt«, erzählte er, »und bin nachts oft hierhergekommen und habe einfach zugesehen, wie er vorüberfloss. Damals war hier natürlich viel mehr los, und das London Eye gab es noch nicht – nur Lagerhäuser und hässliche Armensiedlungen. Damals galt es als überaus gefährlich, in der Nähe des Flusses zu leben.«
    »Du lebst wirklich schon so lange, oder?« April blieb stehen und blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie hören konnte. »Und du bist tatsächlich ein Vampir ?«
    Gabriel nickte. »Ich weiß, wie schwer es ist, das zu begreifen. Aber ich schwöre dir, dass es die Wahrheit ist.«
    »Aber was bist du? Bist du so eine Art…?« Ihr hatte das Wort »Monster« auf der Zunge gelegen, aber sie wollte ihn nicht verletzen.
    »Ich bin ein Mensch genau wie du, aber ich wurde mit dem Vampir-Virus infiziert. Ich will dich jetzt nicht mit komplizierten Einzelheiten verwirren, aber vereinfacht ausgedrückt, könnte man sagen, dass dieser Virus ununterbrochen unsere Zellen zerstört, sodass unser Körper ständig neue produziert. Deswegen haben wir so eine makellose Haut und dichte, kräftige Haare und werden nie krank. Wir altern genauso wie andere Menschen, aber dadurch, dass unser Körper sich unentwegt erneuert, schreitet der Alterungsprozess unendlich viel langsamer voran. Es ist also nicht so, dass wir übernatürliche Sagengestalten sind, wir sind Menschen. Die Wissenschaft hat es bisher lediglich noch nicht geschafft, das Virus zu entschlüsseln. Und bevor du fragst – nein, ich kann mich nicht in eine Fledermaus verwandeln.«
    April lächelte, während sie ihren Weg fortsetzten. Durch das Gehen waren die Schmerzen in ihrem Knie wieder schlimmer geworden, und sie ließ es zu, dass Gabriel sie noch ein wenig enger an sich zog, um sie zu stützen. Ihr Unbehagen hatte sie jetzt völlig verloren.
    »Wie ist es passiert?«, fragte sie und sah zu ihm auf. »Wie hast du dich mit dem Vampir-Virus angesteckt, meine ich?«
    »Ich wurde gebissen«, antwortete er knapp.
    Als April ihn forschend ansah, zuckte Gabriel mit den Achseln.
    »Ich habe mich wissentlich entschieden, ein Vampir zu werden«, sagte er leise. »Ich habe es aus Liebe getan.«
    Auch wenn April immer noch nicht wusste, wie sie mit diesem neuen Wissen umgehen sollte, und sich über ihre Gefühle ihm gegenüber alles andere als im Klaren war, gefiel es ihr überhaupt nicht, dass er das Wort »Liebe« benutzte, ohne dass sie etwas damit zu tun hatte.
    »Liebe?« Sie rückte wieder ein winziges Stück von ihm ab.
    »Klingt verrückt, ich weiß. Aber ich war jung und ungestüm und… Damals war ich noch Student. Ich studierte Recht. Ich hatte ziemlich wenig Geld, die meisten gesellschaftlichen Vergnügungen konnte ich mir nicht leisten, also bin ich nachts hier spazieren gegangen, um mich zu zerstreuen. Eines Abends dann hörte ich plötzlich einen Schrei. Er kam genau von dort drüben.« Gabriel zeigte den Fluss

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