Die Schule der Nacht
Papier zurück und reichte es ihr.
»Schau dir das mal an«, sagte sie. Es war ein doppelseitiger Artikel aus einem deutschen Boulevardblatt, der zwei Tage nach Alix’ Tod erschienen war. Eines der darauf abgebildeten Fotos zeigte eine Polizeiabsperrung, hinter der ein Rettungswagen stand, in den gerade sein Leichnam auf einer Bahre geschoben wurde.
»Zusammengefasst steht in dem Artikel, dass Alix in der Nacht seines Todes eine Riesenparty geschmissen hat«, erklärte Caro. »In Deutschland sind sie nicht so schnell mit Verleumdungsklagen bei der Hand wie hier bei uns, also können die Medien die Sensationsgier ihrer Leser nach Lust und Laune bedienen. Jedenfalls soll es sich bei der Party um eine ausschweifende Orgie gehandelt haben, mit allem, was das dekadente Gothic-Herz begehrt – Grabkerzen, Weihrauch, Drogen, Hochprozentigem und leichten Mädchen.«
»Wow«, sagte April. »Andererseits können sie nach seinem Tod wahrscheinlich so ziemlich alles schreiben, was sie wollen, ohne es nachzuprüfen, oder?«
»Richtig. Besonders zuverlässig sind die Informationen sicher nicht, vor allem nachdem der Autor durchblicken lässt, dass Alix’ Tod etwas mit abartigen Sexpraktiken unter Drogeneinfluss zu tun gehabt hätte. Wobei ich irgendwie das Gefühl habe, dass da noch viel krassere Sachen abgelaufen sind. Aber eigentlich wollte ich dir etwas anderes zeigen. Schau dir mal das Foto rechts an.«
April spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Alix stand mit nacktem Oberkörper da und blickte düster und schmollend in die Kamera. Aber es war nicht seine wohl definierte Brustmuskulatur, die ihren Blick anzog…
»Kommt dir irgendetwas darauf bekannt vor?«, fragte Caro.
April nickte fassungslos. Auf Alix’ rechter Schulter prangte ein sternenförmiges Tattoo, das exakt so aussah wie das Mal hinter ihrem Ohr. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und stürmte auf die Bibliotheks-Toilette. Hastig nahm sie ihre Haare hoch und beugte sich ganz dicht an den Spiegel heran. Es sieht absolut identisch aus! , dachte sie, als Caro hinter ihr den Raum betrat.
»Was hat das zu bedeuten, Caro? War Alix ein Spender? Wusste er von der Legende? Ist er deswegen umgebracht worden?«
»Tut mir leid, Süße. Ich wünschte, ich wüsste es«, sagte Caro mitfühlend. »Vielleicht haben sie versucht, ihn zu wandeln, vielleicht wollte er aussteigen – ich habe wirklich keine Ahnung. Aber das ist noch nicht alles. Zehn Tage vor dieser angeblichen Orgie hatte er einen Termin bei Transparent Media.«
»Woher weißt du das?«
»Steht hier drin.« Caro reichte April einen weiteren Ausdruck. Es war ein Artikel aus der Musikzeitschrift Music Week mit einem Foto, auf dem Alix Graves gerade einem Mann in einem Anzug die Hand schüttelte. Die Bildunterschrift lautete: »Graves plant, die Verkaufstaktik von Transparent zu reformieren«.
April sah Caro an. »Und?«
Caro lächelte. »Transparent Media ist ein Tochterunternehmen von Agropharm. Und wer ist der Vorsitzende von Agropharm?«
April riss die Augen auf. »Natürlich! Nicholas Osbourne.«
Caro nickte. »Genau. Davinas Daddy.«
Sechsunddreißigstes Kapitel
C aro war stinksauer. Simon saß lachend und scherzend bei den Schlangen und den Rugby-Jungs in der Cafeteria, als hätte er schon immer dazugehört. Als er sie und April entdeckte, winkte er ihnen, machte aber keine Anstalten, an ihren Tisch rüberzukommen.
»Meinst du, die haben ihn rekrutiert?«, flüsterte April.
»Entweder das, oder er ist über Nacht zum Kotzbrocken mutiert.«
»Aber ist er nicht ein totales Mathe-Genie? Damit würde er doch perfekt in ihr Beuteschema passen?«, sagte April.
Caro sah sie an, und die Wut in ihren Augen wich Besorgnis. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich hab da auch schon so eine Idee, komm mit.«
»Was denn für eine Idee?«, fragte April und versuchte, mit Caro Schritt zu halten, die aus der Cafeteria gestürmt war und entschlossen den Flur entlanglief.
»Der einzige Weg, sie aufzuhalten, ist meiner Meinung nach, das Übel bei der Wurzel zu packen, hab ich recht?«
April nickte. »Ja, ich glaube schon.«
»Schlag der Schlange den Kopf ab, und sie stirbt«, sagte Caro. »Und mit ein bisschen Glück scheuchen wir damit auch denjenigen auf, der deinen Vater umgebracht hat.«
»Wie bitte?« April hielt ihre Freundin am Arm fest und zwang sie dazu, stehen zu bleiben.
»Was ist los?«, fragte Caro überrascht, als sie Aprils
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