Die Schule der Nacht
musste, wenn ich mal wieder zum Falken zitiert wurde und darauf wartete, dass er mich reinholte. Die wird die Mittagspause garantiert durchtelefonieren.«
»Und wie sollen wir an ihr vorbeikommen?«
Caro zeigte auf die Tür. »Mrs Bagly sitzt zwar genau dahinter, aber wir können uns geduckt an der Empfangstheke entlangschleichen, dann bemerkt sie uns bestimmt nicht, und um die Ecke liegt dann auch schon Mr Sheldons Büro, das sie von ihrem Platz aus nicht im Blick hat.« Caro schaute auf ihre Uhr. »Wir haben noch mindestens eine halbe Stunde, bis er zurückkommt. Bist du bereit?«
April sah sie entsetzt an. »Aber wir können doch nicht einfach so in das Büro des Schulleiters spazieren!«
»Nicht spazieren «, flüsterte Caro. »Kriechen!« Sie ließ sich auf die Knie nieder und steuerte die Tür an.
»Caro!«, zischte April, aber ihre Freundin ließ sich nicht beirren und machte ihr Zeichen, ihr zu folgen. Dankbar, dass sie sich heute Morgen entschieden hatte, eine Hose und keinen kurzen Rock anzuziehen, folgte sie Caro kopfschüttelnd. Rechts von ihnen befand sich die Empfangstheke, die Mrs Baglys Sicht auf sie versperrte – solange sie dahinter sitzen blieb. Vorsichtig krabbelten sie auf allen vieren durch das Vorzimmer in das Büro von Mr Sheldon. Caro schloss in Zeitlupentempo die Tür, und als sie kaum hörbar zuschnappte, stießen beide lautlos die angehaltene Luft aus.
»Das ist Wahnsinn, was wir hier machen!«, wisperte April.
»Scht!«, machte Caro.
April sah sich um. Der Raum sah immer noch genauso chaotisch aus wie an dem Tag, als Inspector Reece und Sergeant Carling sie hier das erste Mal vernommen hatten. Aber bei dem Gedanken an die Polizei wurde sie nur noch nervöser, weshalb sie begann, so leise wie möglich die Schubladen eines Aktenschranks aufzuziehen, während Caro sich hinter Mr Sheldons Schreibtisch setzte.
»Wonach suchen wir eigentlich?«, raunte April.
»Keine Ahnung«, flüsterte Caro. »Nach irgendetwas Verdächtigem. Etwas, woraus hervorgeht, wer die geheimen Drahtzieher sind, die hinter der Schule stehen.«
April zog wahllos einen Ordner heraus. »Hey, ich hab hier Mr Andrews’ Personalakte.«
»Nicht direkt das, wonach wir suchen.«
»Wow!«, staunte April. »Sein Lebenslauf ist absolut beeindruckend. Der Typ könnte überall arbeiten. Was will er hier?«
»Vielleicht ist Blut seine Lieblingsmahlzeit«, sagte Caro. »Und jetzt such weiter.«
Schon nach kurzer Zeit war April von der Flut an Informationen völlig überfordert. Sie fand Finanzierungstabellen und Kalkulationen für ein Spezialfenster im Physiklabor, korrigierte Chemie-Klassenarbeiten von vor sechs Jahren, sogar einen Kostenvoranschlag für einen Skiausflug nach Österreich. Aber nichts von dem, was sie entdeckte, war auch nur im Geringsten ungewöhnlich, sondern dokumentierte lediglich den ganz normalen Tagesablauf eines Gymnasiums.
»Irgendwas im Computer?«
»Ist alles passwortgeschützt, verdammt«, fluchte Caro leise. »Und die ganzen Ordner sind auch gesichert… Hey, warte mal… Bingo!«
April flitzte zu ihr hinüber. Caro hatte gerade eine Mail mit dem Logo von Agropharm geöffnet.
»Wo hast du die gefunden?«
»Mrs Bagly hat auf dem Rechner ihr eigenes E-Mail-Account und war ins cc gesetzt. Die Mail lag einfach im Posteingang. Ja!«, sagte sie aufgeregt, als sie sich den kurzen Text durchlas. »Hör dir das an: ›Es ist höchst ärgerlich, dass die Schule nicht genügend Kandidaten für unser Unternehmen hervorbringt. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, wie hoch die Investitionen sind. Wir erwarten bessere Ergebnisse von Ihnen, Robert, sonst sehen wir uns gezwungen, die finanziellen Fördermittel für den Ausbau Ihres Labors einzustellen.‹«
»Wer hat die Mail denn geschrieben?«, fragte April.
»Nicholas Osbourne höchstpersönlich!«, antwortete Caro triumphierend. »Ob er der Regent ist?«
Die beiden fuhren erschrocken zusammen, als aus dem Vorzimmer lautes Husten ertönte.
»Schnell!«, zischte Caro. »Hinter die Tür!«
»Alles in Ordnung, Junge?«, drang dumpf Mr Sheldons Stimme zu ihnen herein. »Vielleicht würde ein Glas Wasser guttun?«
Das Husten verschlimmerte sich.
»Könnten Sie mir vielleicht kurz helfen, Mrs Bagly?«, sagte der Schulleiter. »Wir sollten ihn besser ins Krankenzimmer bringen.«
April musste Caro eine Hand auf den Mund pressen, um sie davon abzuhalten, vor Freude über ihr unfassbares Glück laut herauszuprusten. Vorsichtig huschten sie aus der
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