Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
wohl der größte gemeinsame Nenner zwischen den Menschen, so paradox es auch klang. Die Einsamkeit.
Warum bin ich eigentlich hierher gefahren?, überlegte er dann. Anna Kristeva hatte ihm doch erklärt, dass sie Amos Bruggers Antwort weggeworfen hatten – genau wie die der übrigen Anwärter auf ihre und Ester Peerenkaas’ Gunst – und dass sie eine Art von Kopie bei der Zeitung aufbewahren würden, na, das hatte er sich ja wohl nicht mal in seinen kühnsten Träumen erhofft.
Es war ein Unternehmen auf eigene Faust gewesen. Reinhart hatte ihm keine entsprechende Anweisung gegeben, aber vielleicht hatte er trotzdem seinen Segen.
Es sei an der Zeit, in jeder Hinsicht die Initiative zu ergreifen, hatte er ihnen während der kurzen Morgenbesprechung eingeschärft.
Und an der Zeit, sich an Strohhalme zu klammern.
Nach einer Weile wurde Jung bewusst, dass er mit den Händen am Lenkrad dasaß und durch die Windschutzscheibe in den Regen hinausstarrte. Er saß da und dachte über Kerran-Brugger nach.
Der hat sicher keinen größeren Bekanntenkreis, der auch nicht, dachte er im Gedanken an das Gespräch mit der Zeitungsangestellten. Vielleicht ist er sogar der einsamste arme Teufel von allen. Ja, wahrscheinlich ist es genauso.
Er spürte, dass er fror. Die Dämmerung war in ein Dunkel übergegangen. Er schaute auf die Uhr, startete den Wagen und fuhr los, um Maureen von der Arbeit abzuholen.
35
Münster schaltete den Motor ab, ließ die Musik aber noch laufen. Dexter Gordon, der Tenorsaxophonist, in einer Aufnahme aus den frühen Fünfzigern in Vanguard.
Er hatte die Scheibe von Reinhart bekommen. Du denkst besser mit einem Sax im Ohr, hatte dieser gesagt.
Vielleicht hatte er ja Recht. So entstand nicht das übliche öde Vakuum im Auto, und es gab da eine leichte Schärfe im Ton, die vielleicht sogar einiges an Schlacke aus dem Kopf entfernen konnte.
Er stand auf der Moerckstraat. Es war halb fünf Uhr am Nachmittag, es regnete, und ein schmutziges Dämmerlicht umhüllte die Wohnblocks mit einer Art barmherzigem Netz. Man musste sie nicht so genau sehen.
Aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dachte Münster. Jedenfalls nicht schlimmer als an vielen anderen Stellen auch. Die Stadt sah wahrscheinlich in dieser Jahreszeit überall ziemlich trübselig aus. Bleischwer, grau und diese eisigen Nebel. Der Regen und der scharfe Wind vom Meer… nein, Maardam hatte nur wenige Voraussetzungen, sich für die Olympischen Winterspiele zu bewerben, das war schon klar.
Er betrachtete die nassfleckige Häuserfassade. Die meisten Fenster waren immer noch dunkel. Die Leute waren wohl noch nicht von ihrer Arbeit zurück, überlegte Münster. Oder ihnen ist noch nicht aufgefallen, dass die Dunkelheit eingesetzt hat.
Oder sie schaffen es nicht, sich aus ihrer Lethargie zu erheben, um Licht zu machen. Die Zahl der Krankschreibungen und der Arbeitslosen war in einer Gegend wie dieser hier wahrscheinlich ziemlich hoch. Die drei Fenster, hinter denen Martina und Monica Kammerle gewohnt hatten, waren alle dunkel. Münster wusste, dass das Mobiliar eingelagert war, aber noch keine neuen Mieter eingezogen waren. Warum eigentlich nicht? Existierte sie noch, diese alte Vorstellung, dass es gefährlich war, in einem Haus zu wohnen, in dem jemand umgebracht worden war? Konnte schon sein. Die Leute waren abergläubischer, als man dachte.
Aber es war wohl sowieso nur schwer zu vermieten, schätzte er mal. Stopeka, wie die Gegend hier hieß, war eines der unattraktivsten Viertel der Stadt, und vermutlich hatte der Bauherr sich verkalkuliert. Seit man die Einwanderung ins Land in den letzten Jahren drastisch reduziert hatte, war es nicht mehr so leicht, Mieter für die Vorstadtghettos der siebziger Jahre zu finden. Deshalb war es kaum verwunderlich, dass Einiges leer stand.
Er seufzte. Tu was!, hatte Reinhart ihn ermahnt. Egal was. Versuche, auf irgendeine Weise diesen Fall weiterzubringen, ich habe mich festgefahren wie ein Schlittschuhläufer im Reisfeld!
Oh ja, man hatte sich reichlich festgefahren. Münster hatte nichts gegen Reinharts Analyse einzuwenden. Neue Ermittlungen kamen und gingen im Polizeipräsidium, aber was den Mord an dem Pfarrer und den beiden Frauen in der Moerckstraat betraf, so waren inzwischen mehr als vier Monate vergangen, und man hatte kaum den Schatten einer Spur. Eigentlich nur diese Namen. Benjamin Kerran und Amos Brugger. Namen, die der Mörder selbst kundgegeben hatte, um sie ein bisschen zu ärgern,
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