Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Leimaar, ja, und dann mit einigen Leuten vom Bahnhof natürlich. Niemand hatte irgendwas beizutragen, zumindest nichts, was das Geschehen selbst betrifft. Gassel wohnte allein. Hatte nicht viele Freunde. Möglicherweise war er deprimiert, aber soweit wir wissen, lässt sich kein Grund finden, daraus ernstere Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir haben ganz einfach keinerlei Zeichen, die auf irgendeine Unregelmäßigkeit hindeuten.«
»Und keine Besonderheiten?«
Moreno ließ mit der Antwort auf sich warten.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte sie. »Nein, ich bin zwar nicht so hellhörig wie ein gewisser ehemaliger Hauptkommissar zu sein pflegte, aber ich habe nichts gemerkt. Kein bisschen. Es wäre natürlich eine andere Sache, wenn es Zeugen gäbe, jemanden, der etwas gesehen oder beobachtet hätte, aber nein, es ist nichts zu Tage gekommen, so einfach ist das… es war an dem Abend regnerisch und stürmisch und ziemlich dunkel auf dem Bahnsteig. Keine Fahrgäste, die warteten, es war die Endhaltestelle für den Zug.«
»Ich verstehe«, sagte Van Veeteren. »Und der Lokführer hat nichts gesehen?«
»Nein. Hat genau in der Sekunde, als es passiert ist, auf sein Armaturenbrett geguckt… zumindest behauptet er das. Hat nur gemerkt, wie was herangewirbelt kam.«
»Herangewirbelt?«
»Ja, so hat er sich ausgedrückt.«
»Und es ist nie geklärt worden, warum Gassel dort war? Ob er jemanden treffen wollte oder so?«
»Nein.«
»Wisst ihr, was er an diesem Abend vorher gemacht hat? Bevor er auf den Schienen landete, meine ich.«
»Nicht wirklich. Bis sechs Uhr hatte er offenbar Konfirmandenunterricht. Draußen in Leimaar. Dann ist er wohl nach Hause gefahren. Er wohnt im Maagerweg in der Stadt. Muss so gegen halb sieben zu Hause gewesen sein, aber das ist nur eine Vermutung. Um 22.46 Uhr landete er vor dem Zug, was er in den Stunden davor gemacht hat, davon haben wir keine Ahnung.«
»Hatte er sich eine Fahrkarte gekauft?«
»Nein. Jedenfalls nicht im Bahnhof. Und er hatte auch keine bei sich.«
»Also wisst ihr überhaupt nicht, was er eigentlich vorhatte? Außer sich eventuell vor den Zug zu werfen, meine ich?«
»Nein. Wie schon gesagt.«
Van Veeteren schaute seufzend aus dem Fenster.
»Ihr habt euch auch nicht sonderlich angestrengt, um es herauszukriegen?«
»Nein«, gab Ewa Moreno zu. »Vermutlich war er den Abend über zu Hause, wer weiß? Und außerdem haben wir noch einige andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen.«
»Ach, wirklich?«, fragte Van Veeteren. »Tja, ich nehme an, dass wir im Augenblick nicht viel weiter kommen. Danke, dass du dich bereit erklärt hast, meinem Gewäsch zuzuhören. Darf ich dir noch eine private Frage stellen, bevor wir uns trennen?«
»Bitte schön«, sagte Moreno.
»Du bist wahrscheinlich der schönste Bulle, den ich je gesehen habe. Und ich bin alt genug, um so etwas sagen zu dürfen. Bist du immer noch nicht verheiratet?«
Er sah, wie sie errötete und darauf wartete, dass es vorbeiging.
»Danke«, sagte sie. »Nein, noch nicht. Ich halte mich jung, indem ich es nicht tue.«
»Wie alt bist du eigentlich?«
»Alt genug, um genügend Verstand zu haben, sich für ein Kompliment zu bedanken«, erwiderte Inspektorin Moreno.
Der Gemeindepfarrer der Leimaarer Gemeinde hieß Franz Brunner, und er empfing Van Veeteren im Pfarrhaus. Das war das älteste Gebäude im ganzen Stadtteil, wie er behauptete, ein niedriges, schönes Holzgebäude aus dem frühen 19. Jahrhundert mit Flügelanbauten, die von Efeu, wildem Wein und Kletterrosen bedeckt waren, die in der plötzlich scheinenden Herbstsonne aufglühten.
Van Veeteren überlegte überrascht, ob nicht zumindest die Kirche älteren Datums sein musste, aber Brunner erklärte ihm, dass sie Ende des 19. Jahrhunderts niedergebrannt und die neue erst 1908 geweiht worden sei.
Leimaar gehörte außerdem zu den Teilen von Maardam, die erst spät bebaut wurden, das wusste Van Veeteren. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, und dann in drei oder vier Etappen: Fünfziger-, Sechziger- und Achtzigerjahre. So gut wie ausschließlich mit Mietshäusern von ziemlich gewöhnlichem Aussehen – aber die Lage oben auf der Anhöhe mit dem meilenweiten Blick über das flache Land bis hin zum Meer ließ die Gegend als eine der attraktiveren der Stadt erscheinen. Er erinnerte sich daran, dass er einmal eine Frau in ihrem verglasten Balkon in der obersten Etage eines der Häuser verhört hatte und dass er sich damals Leimaar als
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