Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
Pastor Gassels Verhalten kurz vor seinem Tod etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Der Pfarrer schüttelte langsam den Kopf.
»Nein. Nicht, dass ich wüsste. Nicht, soweit ich mich jetzt spontan erinnern kann.«
»War er deprimiert?«
»Meines Wissens nicht.«
»Und Sie wissen nicht, ob im Herbst oder Spätsommer irgendetwas Besonderes vorgefallen ist, was für ihn traumatisch gewesen sein könnte?«
»Traumatisch? Nein, da habe ich keine Ahnung. Aber wir hatten auch keine derartige Beziehung, dass er mir etwas anvertraut hätte, da ja… nun ja, genau aus dem Grund, über den wir gerade gesprochen haben.«
»Ich verstehe«, sagte Van Veeteren. »Ich nehme an, dass Sie hinsichtlich Suizidgefahr und ähnlichen Fragen nichts sagen können?«
»Was den Glaubensstandpunkt betrifft, so sind wir nicht so rigide wie die Katholiken«, erklärte Brunner und räusperte sich. »Natürlich ist es niemals recht, sich das Leben zu nehmen, aber es ist nicht unsere Sache, einen verzweifelten Menschen zu verurteilen, der einen desperaten Entschluss trifft…«
»Wenn wir den Seligkeitsaspekt für eine Weile beiseite lassen könnten«, schlug Van Veeteren vor. »Halten Sie es für möglich oder für ausgeschlossen, dass Gassel Selbstmord begangen haben könnte?«
Der Pfarrer spitzte die Lippen und sah sehr scharfsinnig aus.
»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte er schließlich. »Ich glaube es natürlich nicht und wüsste auch nichts, was darauf hindeuten würde. Aber ich kann es gleichzeitig nicht voll und ganz ausschließen.«
»Wissen Sie, ob er eine feste Beziehung hatte? Wohnte er mit einem Partner zusammen?«
Wieder errötete der Pfarrer.
»Mit einem Partner? Nein, also wirklich… ich habe absolut keine Ahnung von… von diesen Dingen.«
»Ich verstehe. War diese Abweichung, wie Sie sie genannt haben, in der Gemeinde bekannt?«
»Dass er homosexuell war?«
»Ja.«
»Glücklicherweise nicht. Sonst wäre es mir zu Ohren gekommen, und wir haben zumindest zu dem Kompromiss gefunden, dass er nicht damit herumprahlen sollte. Und schon gar nicht im Konfirmandenunterricht, da ist das ja eine außerordentlich empfindliche Sache, und hier ist es natürlich der Gemeindepfarrer, der letztendlich die Verantwortung trägt. Sie begreifen sicher, dass das nicht gerade leicht für mich war, nicht wahr?«
Natürlich, dachte Van Veeteren. Du Ärmster, da ist es dir gelungen, eine neue Stelle herauszuschinden, und dann wird die mit einem Schwulen besetzt. Das muss ziemlich ärgerlich gewesen sein, ganz klar.
Aber kaum so ärgerlich, dass der Gemeindepfarrer Gassel weiter ins ewige Dunkel geschickt hätte, indem er ihn vor einen Zug schubste, oder? Dafür erschien sein Gesicht dann doch zu glatt und unschuldig.
»Dann wollte er also auf Grund dieser kleinen Meinungsverschiedenheiten lieber nicht bei Ihnen beichten? Halten Sie das für eine logische Schlussfolgerung?«
Brunner dachte nach.
»Doch, ja«, sagte er. »Genauso hat es sich leider verhalten. Und ich glaube auch nicht, dass er sich an Pastor Hartlew gewandt hätte. Die Beichte ist wie bekannt kein Sakrament bei uns, aber die Möglichkeit, sein Herz zu erleichtern, die gibt es natürlich. Und das Gesagte unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu lassen. Aber ich begreife nicht, warum er ausgerechnet zu Ihnen gekommen ist.«
»Ich auch nicht«, stellte Van Veeteren fest, der keinen Anlass sah, Gassels katholische Tante einzuführen. »Teilt Pastor Hartlew Ihre Auffassung hinsichtlich der Homosexualität?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Wie nannten Sie das noch?«
»Was, bitte?«
»Na, Ihre Überzeugung. Liberal-biologisch auf christlicher… ?«
Der Gemeindepfarrer Brunner überlegte fünf Sekunden lang.
»Das fällt mir leider nicht mehr ein«, musste er dann mit einem müden Achselzucken zugeben.
»Auch wenn er keine Lust hatte, mit seinem vorgesetzten Pfarrer zu reden, dann ist der Schritt zu dir hin doch reichlich groß, oder?«, überlegte Ulrike Fremdli etwas später am selben Tag. »Falls du irgendwelche homosexuellen Seiten hast, so ist es dir jedenfalls bis jetzt ausgezeichnet gelungen, sie vor mir zu verbergen. Aber wahrscheinlich ist er nicht deswegen zu dir gekommen.«
»Höchstwahrscheinlich nicht«, stimmte Van Veeteren zu. »Nein, ich ziehe das weibliche Geschlecht ganz einfach vor. Aber Spaß beiseite: Es ist doch ein verdammt merkwürdiges Zusammentreffen, das ist einfach nicht zu leugnen. Gassel kommt zu mir und will mich um Hilfe bitten,
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