Die Schwarze Armee 01 - Das Reich der Träume
komme, treffe ich als Erstes Sombra.
»Erzähl mir, was bei dem Gespräch mit dem Bankdirektor rausgekommen ist, Sombra. Ich weiß, dass du mit Papa gesprochen hast. Was ist passiert?«
»Ich weiß nichts. Mir hat keiner was gesagt.«
Er will gehen, aber ich halte ihn zurück.
»Komm schon, verkauf mich nicht für dumm. Ich bin sicher, dass du etwas weißt. Bitte, sag es mir!«
Bevor er antwortet, sieht er sich nach allen Seiten um und vergewissert sich, dass niemand in der Nähe ist.
»Nicht hier! Wir treffen uns heute Abend auf dem Dachboden, da hört uns keiner.«
»Gut, dann sehen wir uns nach dem Abendessen.«
Ich laufe schnell zu meinem Vater, klopfe an die Tür seines Arbeitszimmers und warte. Doch es passiert nichts. Seltsam, sonst antwortet er immer sofort. Ich klopfe noch einmal, aber es tut sich nichts. Vorsichtig drehe ich den Türknauf und öffne die Tür. Es herrscht Grabesstille, niemand ist zu sehen. Das Zimmer liegt im Halbdunkel, nur die Schreibtischlampe brennt.
Da sehe ich, dass sich im Sessel etwas regt. Es ist mein Vater. Ich will mich schon wieder davonschleichen, überlege es mir dann aber anders und trete ein. Auf Zehenspitzen schleiche ich zum Sessel. Mein Vater sagt nichts. Ich glaube, er hat mich nicht gehört. Er schläft und bewegt sich im Schlaf hin und her. Auf dem Tischchen liegt Schokoladenpapier. Bestimmt hat er seit Stunden nichts Richtiges gegessen.
Er sieht krank aus.
Plötzlich öffnet er die Augen und sieht mich an.
»Ich werde es schaffen, mein Sohn, das schwöre ich dir«, murmelt er. »Koste es, was es wolle …«
»Du musst dich schonen, Papa«, sage ich. »Deine Arbeit wird dich noch umbringen.«
»Arturo, du musst mir verzeihen, alles verzeihen, was ich dir angetan habe. Es tut mir so leid … Ich habe dir das Leben immer schwergemacht, schon seit deiner Geburt …«
»Ich habe dir nichts zu verzeihen, Papa.«
»Wenn ich dir doch nur deine Mutter zurückgeben könnte.«
»Bitte, Papa, hör auf. Es war nicht deine Schuld.«
»Heute Abend essen wir mit Señor Stromber. Er wird uns helfen, all unsere Probleme zu lösen. Du wirst schon sehen, es kommt alles wieder in Lot. Geh jetzt und mach dich frisch.«
Niedergeschlagen gehe ich hinaus. Offensichtlich tut Strombers Gesellschaft ihm doch nicht so gut, wie ich gedacht habe.
Ich gehe in mein Zimmer, dann ins Bad. Vor dem Spiegel setze ich die Mütze ab und betrachte mich. Die Tätowierung ist immer noch gut zu sehen. Der Buchstabe A mit dem Drachenkopf darüber ist deutlich zu erkennen. Ich werfe mich aufs Bett, verberge mein Gesicht im Kissen und heule vor Wut: »Ich werde nie normal sein! Ich bin ein Monster! Ein Monster!«
* * *
Meinem Vater ist es sehr wichtig, dass ich pünktlich zum Abendbrot komme und wir gemeinsam essen. Also reiße ich mich zusammen und tue so, als wäre nichts. Er soll nicht sehen, dass ich geweint habe.
Señor Stromber ist bereits im Esszimmer, in der Hand hält er ein Glas Champagner. Er hat wieder eine seiner typischen Posen eingenommen. Diese erinnert mich irgendwie an Napoleon oder Cäsar.
»Wie war es heute in der Schule, Arturo?«, fragt er freundlich.
»Gut, die neue Lehrerin scheint in Ordnung zu sein«, antworte ich.
»Ihr Unterricht war jedenfalls prima. Und ihre Tochter sitzt neben mir.«
»Freut mich zu hören, dass du Kontakte knüpfst«, sagt mein Vater, der gerade hereingekommen ist. »Das ist schön.«
Er sieht jetzt ruhiger aus. Nur seine Stimme klingt traurig.
»Setzen wir uns«, sagt er. »Heute Abend habe ich so einen Hunger, ich könnte ein ganzes Wildschwein verdrücken.«
»Wie ich sehe, sind Sie zufrieden, mein Freund«, sagt Stromber. »Das freut mich.«
»Ja, ich glaube, beim Essen sollte man seine Probleme für einen Moment vergessen. Genießen wir diesen Abend, morgen ist ein neuer Tag.«
»Was ist denn morgen?«, frage ich besorgt.
»Nichts, was uns übermäßig beunruhigen sollte. Es kommen nur ein paar Leute von der Bank, um in der Stiftung eine Inventur durchzuführen. Erschreckt euch also bitte nicht, wenn ihr ihnen begegnet.«
»Eine Inventur? Wozu müssen wir denn eine Inventur machen?«, frage ich.
»Von Zeit zu Zeit muss man sich einen Überblick verschaffen, Arturo. Wie du weißt, haben wir es in der Stiftung ständig mit sehr wertvollen Dingen zu tun«, erklärt er. »Wir müssen doch wissen, was wir besitzen, oder?«
»Selbstverständlich«, mischt Stromber sich ein. »Keine Bibliothek der Welt kommt mehr als zwei Jahre ohne
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