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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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sogar sehr verbessert. So wie sie jetzt ist, hat sie einen sehr geringen Tonumfang und weder Trompetenstimmen noch eine Cremona – ein Streicherregister!«
    Ich war über seine Fachkenntnis überrascht, obwohl mir noch in Erinnerung war, daß er sang und ein bißchen Flöte spielte. »Ich wußte nicht, daß du auch Orgel spielst?«
    »Ich spiele nicht Orgel«, gab er scharf zurück. »Ich habe mir das von jemandem erklären lassen, der von diesen Dingen etwas versteht.«
    »Wenn man erst einmal anfängt, an einem alten Gebäude herumzupfuschen, weiß man nie, wie das endet. In den letzten dreißig Jahren hat der Versuch, Kirchenorgeln auf Dampfbetrieb umzustellen, zu schlimmen Zerstörungen geführt.«
    »Nun ja«, sagte Austin mit jenem seltsamen Lächeln, das ich plötzlich wiedererkannte und das immer nur ihm selbst zu gelten schien. »Wenn sie der Meinung sind, daß etwas getan werden muß, um das Gebäude für unsere modernen Bedürfnisse gebrauchsfähig zu halten, dann müssen sie eben dran arbeiten. Es handelt sich ja schließlich nicht um eine Mumie, die in einem Glasschrank in einem Museum konserviert werden soll.« Ich wollte gerade etwas darauf sagen, als er aufstand: »Ich muß dir dein Zimmer zeigen.«
    Er war immer schon schnell und aktiv gewesen – jederzeit bereit, aufzuspringen und wegen irgendeines unsinnigen Einfalls aus dem Haus zu rennen. Und sein Verstand arbeitete ebenso schnell, wenn auch bisweilen etwas zu hastig, und er wurde einer Sache schnell überdrüssig. Ich war vielleicht etwas langsamer, aber hartnäckiger und bereit, tiefer in die jeweilige Materie einzudringen – vielleicht gerade deshalb, weil ich sie nicht so leicht erfaßte wie Austin. So war es nicht überraschend, daß ich und nicht er der Gelehrte geworden war, obwohl er in seinem Fach ausgesprochen brillant gewesen war.
    Er nahm also meine Tasche, eilte aus dem Zimmer und überließ es mir, ihm zu folgen. In der Halle griff er nach einer Kerze und entzündete sie am Kamin. Gas, so erklärte er, gebe es nur im Erdgeschoß. Dann sprang er die Treppe hinauf, während ich in der Dunkelheit hinter ihm herstolperte. Am ersten Treppenabsatz, wo eine Großvateruhr kaum Platz für uns beide ließ, wartete er auf mich. Wir erklommen die letzten Stufen, er stieß eine Tür auf und zeigte mir eine gemütliche kleine Kammer auf der Hinterseite des Hauses, die er als Studierzimmer benutzte. Der größere Raum nach vorne hinaus war sein Wohnzimmer, wie er sich mit einem selbstironischen Lächeln ausdrückte.
    Wir stiegen den nächsten Absatz dieser seltsamen alten Treppe hinauf, wo der fadenscheinige Treppenläufer endete und die Bodenbretter nackt und staubig waren. Austin führte mich in das Schlafzimmer auf der Vorderseite und meinte: »Hoffentlich stören dich die Kirchenglocken nicht.«
    »Ich bin daran gewöhnt«, antwortete ich. »Und nach mehr als dreißig Jahren ist das auch gut so.« Mit seiner durchhängenden Decke wirkte das kleine Zimmer wie eine Schiffskabine – ein Eindruck, der durch den unebenen Fußboden und das winzige Fenster noch verstärkt wurde.
    Er ließ mich allein, damit ich mich waschen und meine Sachen auspacken konnte. Die Kammer schien längere Zeit nicht benutzt worden zu sein und roch modrig. Ich öffnete das kleine Fenster: beißende, rauchige Luft strömte herein. Die Kathedrale ragte drohend aus dem Dunst auf, wobei die Nebelschwaden, die um sie herumwirbelten, den Eindruck erweckten, sie sei in Bewegung. Vom Domplatz war kein Laut zu vernehmen. Ich schloß das Fenster, um die Kälte auszusperren. Der kleine Spiegel über dem Waschtisch war trüb, und auch als ich ihn mit meinem Taschentuch abrieb, blieb mein Spiegelbild merkwürdig verschwommen. Neben dem Waschtisch stand ein Lederkoffer mit den Initialen »A. F.«, der mir noch aus unseren College-Tagen bekannt war. Er sah kaum benutzter aus als vor all den Jahren, als ich ihn zuletzt gesehen hatte. Während ich meine Reisetasche auspackte und mich frisch machte, dachte ich darüber nach, wie Austin sich verändert hatte. Er hatte immer eine theatralische Seite gehabt, aber jetzt trat sie deutlicher hervor als früher, fast als stecke eine Absicht dahinter. Ich fragte mich erneut, ob er mich eingeladen hatte, um das, was vor zweiundzwanzig Jahren geschehen war, wiedergutzumachen; auch dachte ich darüber nach, wie ich ihn, ohne in der Vergangenheit herumstochern zu müssen, wissen lassen könnte, daß ich ihn für das, was vorgefallen war, nicht

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