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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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Chancen hätten, damit durchzukommen. Besonders, wenn Perkins verurteilt wird.«
    »Und woran müßte ich mich erinnern?«
    »Nur daran, daß Mr. Stonex gesagt hat, daß er das Testament im Uhrenkasten gefunden und die Absicht habe, es an einen sicheren Ort zu bringen, vielleicht zu seinem Rechtsanwalt oder zur Bank.«
    »Fickling würde das bestreiten. Er würde mich der Lüge bezichtigen.«
    Dr. Locard schob seinen Teller von sich. »Lassen Sie uns doch einmal ganz offen reden: Diese ganze Geschichte hat Aspekte, die Fickling, Slattery, mindestens einen der Domherren und auch noch andere Personen betreffen und von denen Sie als Außenstehender nichts wissen können. Wenn Thorrolds Rekonstruktion des Testaments für gültig erklärt und vollstreckt wird, müßte nichts von diesen Komplikationen an die Öffentlichkeit dringen, denn die Schwester des Verstorbenen – oder wer auch immer es war, der Perkins für den Mord gedungen hat – hätte dann weder durch seine Verurteilung noch durch seinen Freispruch etwas zu gewinnen. Über das Vermögen würde entsprechend den Bestimmungen des Testaments verfügt, gleichgültig wer Mr. Stonex’ Erbe ist. Wenn hingegen das rekonstruierte Testament nicht anerkannt wird, dann wird es unumgänglich sein, daß bei der Gerichtsverhandlung von Perkins gewisse Dinge zur Sprache kommen. Ich hoffe sehr, daß sich das vermeiden läßt, weil es vielen Personen einen enormen Schaden zufügen würde, aber wenn das der Preis ist, der bezahlt werden muß, dann kann man es auch nicht ändern.«
    Alle schwiegen. Ich sah von meinem Gastgeber zu seiner Frau, die errötete und den Blick abwandte. Ich wählte meine nächsten Worte mit großer Sorgfalt: »Angesichts der Tatsache, daß es bei der Gerichtsverhandlung um das Leben eines Menschen geht, habe ich große Bedenken, eine solche eidesstattliche Erklärung abzugeben.«
    Dr. Locard fuhr mit leiser, eindringlicher Stimme fort: »Wenn Sie diesen einen Punkt beschwören, damit das Testament vollstreckt werden kann, können Sie ansonsten vor Gericht aussagen, was Sie wollen. Es wäre dann vollkommen gleichgültig, ob Perkins verurteilt wird oder nicht.«
    »Und wenn ich das nicht beschwöre, dann wird sich die Gerichtsverhandlung zu einer höchst unerfreulichen Angelegenheit entwickeln?«
    »Das wäre unausweichlich. Fickling würde zwangsläufig diskreditiert werden, weil gewisse Dinge ans Licht kämen, die auch für Sie sehr unangenehm wären.«
    Ich antwortete nicht. Mir kam plötzlich der Gedanke, daß ich dem Dekan, indem ich ihm das bei Sheldrick gestohlene Päckchen mit den Photoplatten übergeben hatte, eine Waffe in die Hände gespielt hatte, die unter Umständen den Tod von Perkins zur Folge haben konnte. Ich bedauerte die naive Impulsivität, mit der ich gehandelt hatte.
    Dr. Locard fuhr fort: »Die Gerüchte würden niemanden verschonen. Verstehen Sie mich, Dr. Courtine?« Ich sah ihm ins Gesicht, ohne ihm eine Antwort zu geben. »Eine der Konsequenzen wäre, daß ich dann die anderen Domherren nicht dazu überreden könnte, Ihnen die Veröffentlichung des Manuskripts anzuvertrauen, denn jeder ehemalige Bekannte Ficklings würde dann unter Verdacht geraten. Sie sind unverheiratet, nehme ich an?«
    »Ich habe keine Frau.«
    Er warf Mrs. Locard einen Blick zu und wandte sich wieder an mich. »Ein unverheirateter Freund Ficklings wäre, offen gesagt, ein besonders leichtes Opfer für Klatsch der übelsten Sorte.«
    Mrs. Locard senkte den Blick.
    »Ich habe nichts zu verbergen.«
    »Daran zweifle ich nicht, Dr. Courtine. Vielleicht sind Sie ja auch bereit, dieses Risiko für sich selbst in Kauf zu nehmen, aber können Sie das Ihrer Familie und Ihren Freunden zumuten?«
    »Ich habe keine Familie.«
    »Überhaupt keine?« rief Mrs. Locard aus, die versuchte, dem Gespräch eine andere Wende zu geben. »Wie traurig. Keine Brüder und Schwestern?«
    »Meine einzige Schwester ist vor vier Jahren gestorben. Ihre Tochter ist meine einzige lebende Verwandte. Ich bin gerade auf dem Weg, die Feiertage mit ihr und ihrem Mann zu verbringen.«
    »Haben sie Kinder?«
    »Zwei kleine Mädchen. Meine Reisetasche ist voll von Geschenken für sie.«
    »Sie sind offenbar ein sehr liebevoller Onkel – und Großonkel. Aber eigene Kinder haben Sie nicht?«
    »Ich habe, wie gesagt, keine Frau.«
    Mein Tonfall fiel etwas barscher aus als beabsichtigt, und ich sah, daß sie gekränkt war.
    In diesem Augenblick kam das Hausmädchen herein und reichte ihrem Herrn

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