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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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Vorderseite des Hauses, wo seine Frau uns erwartete. »Robert hatte in den letzten Tagen so viel zu tun, daß ich ihn nur selten zu Gesicht bekommen habe«, sagte sie lächelnd, als wir uns die Hand reichten.
    »Ach ja«, entgegnete ich, »und zu allem Überfluß kam dann auch noch die Sache mit dem Toten hinter dem Gedenkstein.«
    »Und was ist Ihrer Meinung nach die Wahrheit, die hinter dieser Entdeckung steckt?« fragte sie.
    Dr. Locard war damit beschäftigt, mit dem Mädchen über das Servieren des ersten Ganges zu verhandeln.
    »Ihr Mann hat die sehr begründete Meinung geäußert, daß es sich bei dem Toten um den Camerarius Burgoyne handeln muß und daß er vom Steinmetzen der Kathedrale, einem Mann namens Gambrill, umgebracht wurde, weil er ihn öffentlich des Mordes bezichtigen wollte.«
    »Das glaube ich nicht«, mischte sich ihr Mann ins Gespräch, der die Diskussion über die Suppe und ihre Temperatur gerade beendet hatte.
    Ich bekam einen roten Kopf. »Ich dachte, das hätten Sie heute morgen gesagt, als wir uns darüber unterhielten.«
    »Offenbar ist es mir nicht gelungen, mich unmißverständlich auszudrücken«, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit, die ich als sehr viel kränkender empfand, als Grobheit es gewesen wäre. »Ich sagte, ich glaube, daß Gambrill befürchtete, daß Burgoyne ihn öffentlich des Mordes an Limbricks Vater bezichtigen wollte. Aber ich glaube nicht, daß es das war, was Burgoyne bekanntgeben wollte.«
    »Das ist wirklich sehr kompliziert«, murmelte Mrs. Locard und lächelte mich an.
    »Aber die Inschrift an der Wand des neuen Dekanats läßt darauf schließen«, begann ich, »daß Gambrill …«
    »Die Inschrift!« rief er aus. »Die Inschrift hat nichts mit dem Mord an Burgoyne zu tun. Sie wurde erst um 1660 angebracht, und sie bezieht sich auf den Mord an Freeth.«
    »Wirklich?«
    Dr. Locard erklärte: »Sie ist absichtlich so mißverständlich abgefaßt, weil sie aus einer Zeit stammt, als die Burgoynes noch sehr mächtig waren. Sie wurde von den Domherren angebracht, ganz besonders auf Betreiben von Champniss, dem Domkustos.«
    »Champniss war auch der Augenzeuge, mit dem Pepperdine mehr als zwanzig Jahre später geredet hat. Ich wußte nicht, daß er der Domkustos war. Aber Sie können doch nicht meinen, daß er der Mann war, der von Burgoyne und Gambrill so gedemütigt wurde, daß er einen Nervenzusammenbruch erlitt? Der muß 1660 doch längst tot gewesen sein.«
    »Doch, genau den meine ich. Überraschenderweise hat er fast alle anderen Domherren überlebt. Er war ein treuer Freund von Freeth gewesen und von seinem Tod zutiefst betroffen. Die Inschrift war deshalb tatsächlich eine Mordanklage gegen die Familie Burgoyne.«
    »Und hatte er recht?«
    »Nach der Belagerung hat der Offizier, der die Besatzungstruppe kommandiert hatte und deshalb in gewissem Sinne für Freeth’ Tod verantwortlich war …«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche«, warf ich ein, »aber diese Geschichte ist mir bekannt.«
    »Dann wissen Sie auch, daß dieser Offizier, Willoughby Burgoyne, der Neffe des Schatzmeisters war, und dann verstehen Sie auch, warum die Domherren ihn für Freeth’ Tod verantwortlich machten.«
    Ich nickte. Aber ich war natürlich erstaunt über diese neue Information. Demnach war die Erklärung, die ich am gestrigen Nachmittag gehört hatte, nicht zutreffend: Der verantwortliche Offizier hatte nicht kaltblütig gehandelt, um die Stadt zu retten, sondern um ein seiner Familie angetanes Unrecht zu rächen. Mir fiel wieder ein, wie nahe Champniss in Pepperdines Bericht dran gewesen war, den Offizier des Mordes an Freeth zu bezichtigen. Selbst nach der Niederlage der Roundheads war es vermutlich gefährlich gewesen, etwas gegen eine so mächtige Familie wie die Burgoynes vorzubringen. Deshalb erschien es plausibel, daß die Domherren in Form von zweideutigen Worten auf einer Inschrift eine versteckte Anklage formuliert hatten.
    Wir schwiegen eine Zeitlang, während das Hausmädchen die Suppenteller abräumte.
    »Wen wollte Burgoyne dann anklagen, wenn nicht Gambrill?« fragte ich.
    Der Bibliothekar lächelte geheimnisvoll. »Erinnern Sie sich, daß in der Sturmnacht einer der Chorknaben ums Leben kam?« Ich nickte. »Er war Gambrills Neffe.«
    »War das ein Zufall?« Ich erinnerte mich, daß Dr. Locard angedeutet hatte, daß der Junge ermordet worden sei. »Wollen Sie damit sagen, daß er von Burgoyne umgebracht wurde?«
    »Woher soll ich wissen, was in

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