Die schwarze Kathedrale
Fehlschlag nicht fürchtete. Ich war jetzt in der Lage, mir ohne jedes Schuldgefühl einzugestehen, daß ich den Lehrstuhl allen Ernstes haben wollte, mit all dem Respekt, der Macht und auch den materiellen Vorteilen, die damit verbunden waren.
Um halb zwei Uhr kam ich bei meinem Gasthof an und mußte gegen die Tür hämmern, um den Nachtportier aufzuscheuchen, der vor dem Feuer in der Eingangshalle schlief. Ich wies ihn an, mich um sechs Uhr zu wecken, damit ich noch den Postzug erreichen konnte. Ich schlief sehr wenig in dieser Nacht. Als ich am nächsten Morgen allein im Speisesaal mein Frühstück einnahm, wurde eine Nachricht für mich abgegeben. Wie erwartet war es ein Päckchen mit meinen eigenen Schlüsseln, zusammen mit einigen Zeilen von Dr. Locard: »Ich hoffe, daß dies Sie vor Ihrer Abreise erreicht. Bitte seien Sie so freundlich und bringen mir den Schlüsselbund, den Sie versehentlich eingesteckt haben, heute morgen zurück, wenn Sie in die Bibliothek kommen. Ich werde dort, wie angekündigt, an unserem Manuskript arbeiten und freue mich, noch einmal mit Ihnen darüber zu reden.«
Ich sandte ihm die Schlüssel mit einer Entschuldigung für meine Dummheit zurück sowie einen kurzen Brief, in dem ich mich für die Gastfreundschaft bedankte, die seine Frau und er mir entgegengebracht hatten. Ich schrieb ihm, daß ich mir die Freude versagen müsse, noch einmal mit ihm über das Manuskript zu reden, da ich mich entschlossen hätte, den ersten Zug zu nehmen, um nicht zu spät an meinem Bestimmungsort einzutreffen. Ich fügte hinzu, er werde vermutlich enttäuscht sein zu hören, daß ich nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen sei, daß ich mich an nichts erinnern könne, was die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung rechtfertigen würde. Außerdem legte ich einen Scheck zur Unterstützung der Familie des unglücklichen Perkins bei, um die sich Mrs. Locard kümmern wollte.
Nachdem ich mich dieser Pflicht entledigt hatte, packte ich meine Sachen, zahlte meine Rechnung und bestieg mit ungeheurer Erleichterung die Droschke, die schon auf mich wartete.
Die Zeit seit meiner Ankunft bei meiner Nichte habe ich damit zugebracht, diesen Bericht zu schreiben. Ich weiß, daß ich dabei weit vom eigentlichen Mord abgekommen bin, aber es schien mir unmöglich, die unterschiedlichen Fäden auseinanderzuhalten. Ich muß ein sehr enttäuschender Gast gewesen sein, denn ich war voll und ganz mit meinem qualvollen inneren Kampf beschäftigt, von dem ich den Menschen in meiner Umgebung nichts sagen konnte: Sollte ich die Behörden von meinem Verdacht unterrichten? Wie konnte ich ihn beweisen? Nachdem der Coroner sich geweigert hatte, mir meine Theorie über einen mysteriösen Halbbruder abzunehmen – eine Hypothese, die falsch war, aber doch viel Wahres enthielt –, war es kaum anzunehmen, daß ich mit meiner neuen, noch wilderen Theorie auf Glauben stoßen würde, obwohl sie die rätselhaftesten Unstimmigkeiten in befriedigender Weise erklärt. Man kommt immer wieder an einen bestimmten Punkt, an dem man über die reinen Beweise hinausgehen und seine Vorstellungskraft benutzen muß – oder man wird die sogenannte Wahrheit niemals erraten.
Nachdem der unglückliche Perkins tot ist, sehe ich keinen Sinn darin, Anschuldigungen zu erheben, die nicht zur Verurteilung der beschuldigten Personen führen würden. Dennoch möchte ich, daß ein Bericht über die Wahrheit erhalten bleibt, und sei es nur zu dem Zweck, daß Perkins’ Kinder einmal verstehen, welchem Justizirrtum ihr Vater zum Opfer gefallen ist und wodurch sein Name in den Schmutz gezogen wurde. Sein einziges Vergehen bestand darin, die Polizei angelogen zu haben, was töricht und falsch, aber durchaus verständlich war, denn er hatte sofort erkannt, wie überzeugend die Beweise gegen ihn waren.
Die Frage, was ich mit diesem Bericht tun werde, habe ich noch nicht entschieden. Selbstverständlich kann er nicht veröffentlicht werden, solange diejenigen, die für den Mord verantwortlich sind, noch am Leben sind. Diese Tatsache verschafft mir viel Zeit, um darüber nachzudenken, was letztendlich damit geschehen soll.
Edward Courtine, Exeter und Cambridge, Januar 1882
Die verzauberte Prinzessin
(Anmerkung des Herausgebers: Dies ist die Geschichte, die Courtine am Mittwoch spät in der Nacht noch gelesen hat.)
In einem fernen Königreich lebte vor langer Zeit ein schöner junger Prinz, der nicht nur schön, sondern auch klug und von
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