Die schwarze Kathedrale
freundlichem Wesen war, so daß alle, die ihn kannten, ihn schätzten und bewunderten. Sein Vater und seine Mutter, der König und die Königin des Landes, liebten ihn über alles, aber da er der jüngste von drei Brüdern war, wußte er, daß er die Krone nicht erben würde, sondern draußen in der Welt sein Glück würde suchen müssen. Eines Tages würde er das Königreich verlassen und auf Abenteuer ausgehen müssen. Er sah diesem Tag mit Freude entgegen, aber er war auch betrübt, daß er all seine Lieben würde verlassen müssen. Wenn Reisende aus fernen Ländern in das Königreich seines Vaters kamen, lauschte er mit Spannung, was sie zu erzählen wußten. Unterdessen ging er mit Eifer den Studien und Vergnügungen nach, die sich für einen jungen Prinzen ziemten. Er las mit seinen Lehrern in alten Büchern und erlernte von erfahrenen Kämpfern aus dem Gefolge seines Vaters die Kunst, mit Schwert, Schild und Lanze umzugehen, sowohl zu Fuß als auch zu Pferde. Am meisten aber liebte er es, gemeinsam mit seinen Brüdern und anderen jungen Männern des Hofes in den wilden Wäldern, die das Schloß umgaben, mit seinem Hengst, seinem Falken und seinem Hund zu jagen. Diese drei schönen Tiere waren ein Geschenk seines Vaters, und er schätzte sie höher als alles andere, das er besaß.
Eines Tages erzählte ihm ein Reisender, der über Meere und Berge und Flüsse gezogen war, eine Geschichte: Viele Tagesreisen vom Heimatland des Prinzen entfernt lag ein Königreich, dessen König in einer hohen, trutzigen Burg inmitten eines finsteren, weglosen Waldes lebte. Die Burg stand am Ufer eines breiten Flusses und konnte nur zu Schiff erreicht werden, denn der Wald war zu gefährlich, als das ein Wanderer sich hineingewagt hätte. Der König hatte nur ein einziges Kind, eine schöne Tochter, und wenn er starb, würde sie die Königin des Landes sein. Die Prinzessin hatte keinen Gemahl, denn eine Hexe hatte sie mit einem Zauber belegt, der bewirkte, daß nur ein Bewerber, der das Schloß durch den Wald erreichte, ihre Hand zur Ehe erhalten konnte. Der König hatte bestimmt, daß der erste, dem es gelang, diese Probe zu bestehen, nach seinem Tode König werden solle. Das Königreich war reich und mächtig, und viele Prinzen hatten schon versucht, das Schloß auf die geforderte Weise zu erreichen, aber sie alle waren auf dem Weg durch den Wald zugrunde gegangen, denn es gab dort viele Gefahren. Die größte aller Gefahren war ein Ungeheuer, das den Reisenden auflauerte, sie tötete und auffraß.
Als der Prinz diese Geschichte hörte, war er erregt und erschrocken zugleich, und er beschloß, daß er die Hand der Prinzessin gewinnen wolle. Sein Vater und seine Mutter und seine beiden älteren Brüder waren in großer Sorge, als sie von seinem Vorhaben hörten, aber sie wußten, daß es das Schicksal der jüngsten Königssöhne war, große Gefahren zu bestehen, um ihr Glück zu machen, und so versuchten sie nicht, ihn davon abzubringen, sondern gaben ihm Geschenke, die ihm zum Sieg verhelfen sollten: Der König schenkte ihm ein Schwert, das er selbst als junger Mann geführt hatte, eine fein gearbeitete Waffe, in deren Klinge alte Zaubersprüche eingraviert waren. Seine Mutter schenkte ihm eine kunstvolle Rüstung aus feinen Ketten, die leicht war, aber dennoch selbst durch den heftigsten Schwertstreich nicht durchschlagen werden konnte. Sein ältester Bruder gab ihm einen Dolch aus feinstem Stahl mit der spitzesten und schärfsten Klinge, die je ein Waffenschmied gefertigt hatte, und sein zweiter Bruder schenkte ihm einen Schild, der ganz leicht und doch ungeheuer wiederstandsfähig war. Seine alte Amme weinte mehr als alle anderen, und unter Tränen füllte sie Körbe mit Wegzehrung für ihn: Brotlaibe, Käse, gesalzenes Fleisch, getrocknete Früchte und Flaschen mit Wein.
Und eines schönen Morgens im Frühsommer legte der Prinz seine Rüstung an, nahm seine Waffen auf und band seine Vorräte am Sattel fest. Dann sagte er allen, die ihn liebten, Lebewohl und zog mit dem Falken auf dem Handgelenk und dem Hund an der Seite auf seinem Hengst von dannen.
Er ritt viele Tage und Nächte lang und kam schließlich in den großen dunklen Wald, in dessen Mitte das Schloß mit der schönen Prinzessin lag. Als die hohen Bäume sich über seinem Haupte schlossen, wurde es finster um ihn, und da es weder Weg noch Steg gab und er weder die Sterne in der Nacht noch die Sonne am Tag sehen konnte, hatte er große Mühe, sich
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