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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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helllichten Tag. Ein widerwärtiger Gestank stieg ihm in die Nase, und als er um sich blickte, wurde er gewahr, daß der Boden mit verstümmelten menschlichen Körpern übersät war. Alle Prinzen, die vor ihm in diesen Wald gekommen waren, lagen zerrissen auf der Lichtung herum, Arme, Beine und Köpfe. Zu seinem Entsetzen sah er, daß die Glieder und Knochen halb abgenagt waren. Dann bemerkte er, daß sich am anderen Ende der Lichtung etwas bewegte. Die Kreatur wandte ihm den Rücken zu, und als er näher kam, erkannte er, daß sie an einem Schienbein nagte. Rasch nahm er das Tuch von seinem Hals und band es sich fest um die Augen. Mit klopfendem Herzen stand er da und bemerkte, daß der entsetzliche Gestank nach Blut, verwesenden Leichen und etwas Uraltem, Unreinem immer stärker wurde, und er wußte, daß das Ungeheuer auf ihn zukam.
    Er vernahm seinen Schritt, dann seinen rasselnden, unerträglich stinkenden Atem, und im nächsten Augenblick wurde er schon von kalten, schuppigen Armen gepackt. Hände legten sich um seinen Hals, er wurde zu Boden gestoßen, das Ungeheuer lag über ihm und der Würgegriff wurde fester. Der Prinz jedoch dachte an das, was die alte Frau ihm gesagt hatte. Er zwang sich, den Kopf nach vorn zu stoßen, und als seine Lippen das kalte Fleisch berührten, drückte er einen Kuß auf die feuchte Haut. Das Ungeheuer brüllte laut auf vor Angst und Schmerz und ließ den Prinzen los. Er hörte, daß es sich entfernte, und der gräßliche Geruch wurde schwächer und schwächer. Da nahm er sich die Binde von den Augen und sah das Ungeheuer gerade noch am Rande der Lichtung, bevor es sich hinkend in die Finsternis des Waldes schleppte.
    Mit einem letzten, entsetzten Blick über die Lichtung eilte der Prinz in den Wald zurück und setzte seine Wanderung fort. Inzwischen begann der Morgen zu grauen, und als die Sonne aufging, fielen ihre Strahlen auf eine Wasserfläche. Im nächsten Augenblick sah der Prinz die Burg hoch oben auf einem Felsen über dem schimmernden Fluß stehen, und zu ihren Füßen lag die Stadt.
    Er ging zum Stadttor und sagte, wer er sei und woher er komme, und wurde sogleich wie ein Held begrüßt, denn er war der erste Prinz, dem es gelungen war, den Wald zu durchqueren. Er wurde vor den König geführt, der ihm um den Hals fiel und vor Dankbarkeit und Freude weinte, weil nun seine Tochter von dem Zauber befreit war. Der König war überglücklich, daß der Bräutigam seiner Tochter und sein eigener Erbe ein so schöner, edler und mutiger junger Prinz war.
    Man schickte nach der Prinzessin, und als sie den Saal betrat, sah der Prinz, daß sie jünger und lieblicher war, als er zu erträumen gewagt hatte. Ihre Augen waren von erstaunlicher Schönheit, und nachdem er einmal in diese Augen geschaut hatte, entbrannte er in Liebe zu ihr und konnte nicht aufhören, sie anzusehen. Sie war anmutig und bescheiden und lächelte ihn mit reizender Schüchternheit an, und der Prinz war in jeder Weise entzückt von ihr. Der König bewirtete ihn auf das köstlichste, dann rief er seinen ganzen Hofstaat zusammen und verkündete zur Freude des Prinzen, daß die Hochzeit noch am selben Abend gefeiert werden solle.
    Im Schloß und in der ganzen Stadt wurde eine Proklamation verlesen, ein großes Festbankett wurde vorbereitet, und alle hohen Herren und Damen kamen in ihren schönsten Festkleidern herbeigeeilt. Der König, dessen Gemahlin schon vor Jahren vor Kummer gestorben war, als die Prinzessin verzaubert worden war, gab dem Prinzen seine Tochter zur Frau, und alle Damen des Hofes weinten, so wie es sich bei einer solchen Gelegenheit geziemt. Als das Fest seinen Höhepunkt erreichte, stahlen der Prinz und die Prinzessin sich davon zu ihrem Schlafgemach, das ihnen in einem der Türme hoch über dem Fluß bereitet worden war.
    Die Prinzessin hatte eine Dienerin, die ihr, wie sie dem Prinzen erklärte, seit ihrer Geburt gedient hatte. Während der Prinz in dem großen Himmelbett wartete, entkleidete die Frau ihre Herrin vor dem Fenster, durch welches das Mondlicht flutete. Erst nahm die Dienerin ihr die Halskette und die Armbänder ab, dann zog sie ihr die Schuhe aus, dann löste sie ihr die goldenen Zöpfe, dann öffnete sie ihr den Gürtel und ließ ihr Gewand zu Boden gleiten, und der Prinz starrte mit wachsender Erregung auf die Schönheit, die da vor seinen Augen enthüllt wurde. Endlich zog die Dienerin das Hemd über den Kopf der jungen Prinzessin, und sie stand in all ihrer ungeschmückten

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