Die schwarze Kathedrale
löste eine ganze Kette von Ereignissen aus, durch welche die Wahrheit endlich ans Licht kam, obwohl der Artikel selbst nichts als Lügen über den Fall verbreitet hatte. Er wurde anläßlich des Todes von Professor Courtine veröffentlicht. Der Verfasser machte sich die Tatsache zunutze, daß sich Tote gut verleumden ließen; schließlich hatte man nichts mehr von ihnen zu befürchten. Seit dem Mord waren die unmöglichsten Geschichten in Umlauf gebracht worden, und man hatte gegen verschiedene Leute die erstaunlichsten Vorwürfe erhoben. Das Verblüffendste an diesem Artikel war, daß der Autor, der nicht wußte, ob Austin Fickling noch lebte, feige und unehrlich genug war, diesen bei seiner höchst spekulativen Schilderung der Ereignisse des schicksalhaften Nachmittags einfach vollständig unter den Tisch fallen zu lassen.
Der Artikel trug die Schlagzeile: »Verschwörung von Thurchester aufgedeckt«. Der Verfasser begann damit, zu betonen, daß von Anfang an Gerüchte in Umlauf gewesen seien, daß Dr. Courtine – damals war er noch Doktor – irgendwie selbst in den Fall verwickelt gewesen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand im Ernst den Verdacht geäußert, daß Dr. Courtine gelogen haben könnte, obwohl viele der Meinung waren, daß er sich in einigen Dingen geirrt habe. Der Journalist behauptete, die Theorie über einen geheimnisvollen Bruder, die Dr. Courtine bei der gerichtlichen Untersuchung vorgebracht habe, sei eine bewußte Verzerrung der Wahrheit gewesen. Er vertrat die groteske Auffassung, daß Dr. Courtine Mr. Stonex selbst totgeschlagen habe, als er kam, um mit ihm Tee zu trinken, und dann Stunden damit zugebracht habe, das Haus nach Geld und Wertsachen zu durchsuchen. Der junge Arzt, so behauptete der Verfasser, habe also recht gehabt mit seiner Aussage, daß der alte Herr bei seiner Ankunft schon mehrere Stunden lang tot gewesen sei.
Obwohl ich wußte, wie absurd diese Behauptungen waren, widerstand ich der Versuchung, meine eigenen Informationen bekanntzugeben. Ich konnte mich jedoch nicht enthalten, einen kurzen Brief an den Herausgeber der Zeitung zu schreiben, in dem ich ihn wissen ließ, daß ich zu jener Zeit in Thurchester in die Schule gegangen sei und Mr. Stonex flüchtig gekannt habe; außerdem wies ich auf einen Umstand hin, der den Artikel vollständig widerlegte. Dieser Umstand war die Tatsache, daß an jenem Nachmittag Austin Fickling zusammen mit Dr. Courtine im neuen Dekanat gewesen war und daß die beiden Männer bei der Untersuchung des Falles widersprüchliche Aussagen gemacht hatten, was dort geschehen war. Das führte den Gedanken, daß Dr. Courtine in eine Verschwörung verwickelt gewesen sei, vollkommen ad absurdum. Der Brief wurde abgedruckt und zog einige Korrespondenz über das Thema nach sich. Und dieser Brief war dann auch der Grund, warum mich einige Jahre später Miss Napier, die Verfasserin des Buches, das schließlich unter dem Titel »Das Geheimnis von Thurchester« veröffentlicht werden sollte, um Hilfe bat.
Die Freundlichkeit des alten Herrn half mir mehr, als er ahnen konnte, die folgenden Wochen zu ertragen, in denen mein ganzes Elend sich noch zu verschlimmern schien. Ich hatte noch nie einen englischen Winter erlebt, und dies war ein sehr harter, mit strengem Frost, der wochenlang anhielt, mit dichtem, erstickendem Nebel. In unserem großen Schlafraum im alten Torhaus mußten wir das Eis in den Eimern zertrümmern, um uns morgens waschen zu können. Trotz der Lumpen, die wir in die Ritzen der undichten Fensterrahmen stopften, verflüchtigte sich das bißchen Wärme im Zimmer ins Freie, und wir froren nachts unter unseren dünnen Decken oft so sehr, daß wir nicht schlafen konnten. Ich litt unter Frostbeulen und hustete, und die Nase lief mir ununterbrochen, so daß sie ständig entzündet war.
Je näher Weihnachten kam, desto unglücklicher war ich über die Aussicht, die Ferien allein in dem alten Gebäude verbringen zu müssen. Wir Jungen pflegten einander mit Geschichten von Gespenstern zu erschrecken, die hier umgehen sollten, und häufig hörte man des Nachts ein Knarren, als ob jemand auf der Treppe wäre, vielleicht um in die leere Kammer unter dem Dach hinaufzuschleichen. Eine Geistergeschichte war von einer Generation von Schuljungen zur nächsten weitergegeben worden. Sie handelte von einem Domherrn aus alten Zeiten, der aus irgendeinem geheimnisvollen Grund nachts die Treppe zum Speicherraum hinaufzuschleichen pflegte. Viele Male lag
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