Die schwarze Kathedrale
widerfahren war, an dem Mr. Stonex mich einlud, den Weihnachtstag mit ihm zu verbringen. (Ein Tag, der im Zuge der Ereignisse dann das traurigste und trübsinnigste Weihnachten meines ganzen Lebens werden sollte.) Ich freute mich so sehr über die Aussicht, die sich mir so plötzlich eröffnet hatte, daß meine Vorsicht nachließ. Als ich den oberen Domplatz überquerte, ging ich deshalb einem größeren Courtenay-Jungen nicht schnell genug aus dem Weg. Er verspottete mich mit einer Bemerkung über das Torhaus, und als ich versuchte, eine Antwort zu geben, stotterte ich fürchterlich. Er verhöhnte mich, riß mir die Partitur aus der Hand, die ich bei mir trug, und warf sie in den matschigen Schnee. Dann versetzte er mir einen Stoß, stellte den Fuß auf das Notenblatt und drehte ihn so lange hin und her, bis das Papier zerriß und schmutzig wurde.
Ich verbrachte den ganzen Tag in wachsender Angst vor dem, was bei der abendlichen Chorprobe geschehen würde.
Miss Napier hatte es fertiggebracht, die Schwester ausfindig zu machen, die nun in einer riesigen Villa am Stadtrand von Genf wohnte. Sie hatte Miss Napiers Bitten um ein Interview nicht beantwortet, aber die unermüdliche Schriftstellerin hatte einige der Dienstboten aufgespürt, die für sie gearbeitet hatten. Von diesen hatte sie erfahren, daß sie keine Freunde hatte und daß die einzigen Leute, die sie empfing, ein paar Männer waren, die ihre Finanzgeschäfte erledigten. Soweit ihre Dienstboten wußten, hatte sie keine Verwandten. Und trotz ihrer ausgedehnten Nachforschungen, die später auch noch durch den Krieg erschwert wurden, hatte Miss Napier nichts über den Sohn in Erfahrung bringen können, der, wie sie annahm, einmal der einzige Erbe des enormen Vermögens sein würde, das die alte Dame vermutlich hinterlassen würde. Das Begleitschreiben von Dr. Courtine erhielt ich vom Bibliothekar des Colchester College vor nicht ganz einem Jahr. Der Brief lautet:
Dieser Bericht soll fünfzehn Jahre nach meinem Tod geöffnet werden, vorausgesetzt, daß die unten beschriebene Bedingung erfüllt ist. Wenn der Bibliothekar, der Präsident und die Fellows des College ihn gelesen haben, kann jeder Gebrauch davon gemacht werden, den diese für richtig halten. Die Bedingung ist, daß die beiden unten genannten Personen als tot beurkundet sind. Sollte eine der beiden noch am Leben sein, darf der Brief erst nach dem Tod der betreffenden Person geöffnet werden.
Der Bibliothekar schrieb, daß man von einer der genannten Personen wisse, daß sie noch am Leben sei, bat jedoch um Hilfe bezüglich der anderen. Ich hatte über genau diese Frage bereits mit Miss Napier korrespondiert, ohne jedoch zu einem Ergebnis gekommen zu sein. Bei meinem Gespräch in Genf wurde die Frage ebenfalls nicht beantwortet, aber die Idee, die mir auf der Rückreise gekommen war, trug schließlich Früchte. Nach mehreren Monaten konnte ich dem Bibliothekar und dem Präsidenten des College einen befriedigenden Beweis vorlegen, daß die zweite Person auf der Liste verstorben war.
Der Bibliothekar sandte mir auch die Abschrift einer Notiz, die Dr. Courtine außen auf das Päckchen mit seinem Bericht geschrieben hatte. Ich war fasziniert, denn ich wußte genau, wann und warum er diese Notiz hinzugefügt hatte. Ich selbst war der Anlaß gewesen, beziehungsweise etwas, das ich ihm gesagt hatte.
Während ich heranwuchs und auch noch in den folgenden Jahren versuchte ich, soviel wie möglich über die Personen herauszufinden, die in diesen Fall verwickelt gewesen waren. Eines Tages, als ich noch in Cambridge studierte, erfuhr ich etwas über eine von ihnen. Kurz darauf nahm ich den Zug nach Oxford, wo Dr. Courtine – jetzt Professor Courtine – den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte innehatte. Er war vor drei Jahren auf diesen Lehrstuhl berufen worden, als Scuttard, der ihn im Jahr 1882 erhalten hatte, im Alter von vierundvierzig Jahren plötzlich verstorben war. Scuttard hatte die Veröffentlichung des Manuskripts von Thurchester übernommen, aber Professor Courtine hatte unterdessen sein allgemein anerkanntes und fesselndes Werk »Leben König Alfreds des Großen« veröffentlicht. Diese Biographie hatte ihm schließlich den Lehrstuhl eingetragen, obwohl manche seiner Kollegen das Werk für weniger wissenschaftlich als phantasievoll halten. Ich hörte eine Vorlesung, die er an diesem Nachmittag hielt. Sie handelte von der Regierungszeit Ethelreds des Unvorbereiteten; er schilderte diese
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