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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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der Wahrheit auf die Spur zu kommen. In diesem Fall zum Beispiel hätte Pepperdine, wenn sein Brief an einen mächtigen Royalisten gerichtet war, gute Gründe gehabt, die Geschichte zugunsten des Dekans auszulegen, nicht wahr?«
    »Der Empfänger seines Briefes, Giles Bullivant, war lediglich ein anderer Gelehrter ohne jeglichen politischen Einfluß. Er und Pepperdine interessierten sich für die Überlieferung klassischer Texte im späten Mittelalter, und das war auch der Grund, warum Pepperdine nach Thurchester gekommen war. Er wurde jedoch enttäuscht, weil nach der Plünderung der Bibliothek wenig getan worden war, um die verbliebenen Manuskripte zu sortieren.«
    »Und ich fürchte, Sie werden feststellen, daß in den folgenden zwei Jahrhunderten ebensowenig getan wurde.«
    Ich starrte ihn verblüfft an. »Ich fürchte, das ist die traurige Wahrheit. Seit die Manuskripte im Jahr 1643 grob geordnet wurden, ist in den meisten Fällen fast nichts mehr mit ihnen passiert. Was sagt er, wo er das Manuskript gefunden habe, das Sie so interessiert?«
    »Er ist enttäuschend ungenau.
    Ich habe das obere Stockwerk der alten Bibliothek durchsucht und nichts von Interesse gefunden. Die Manuskripte im Keller der neuen Bibliothek befinden sich in bedauerlicher Unordnung, und es würde viele Tage oder gar Wochen in Anspruch nehmen, sie zu untersuchen, und die Arbeit würde sich auch nicht lohnen, denn es scheint sich größtenteils um Abrechnungen der Abtei aus alten Zeiten zu handeln.«
    Ich sah von meiner Kopie auf. »Können Sie mir erklären, was er meint?«
    Dr. Locard lächelte. »Ich werde es Ihnen zeigen, denn es hat sich wahrhaftig wenig geändert, seit er diese Worte niedergeschrieben hat.«
    Ich zuckte die Achseln, um meine Überraschung zum Ausdruck zu bringen, und las weiter aus dem Brief vor. »Dann schreibt er:
    Ich stieß zufällig auf ein Manuskript, wohl für diejenigen von einigem Interesse, die sich mit der frühen Geschichte der wilden Stämme befassen, die dieses Land im Zeitalter der Finsternis vor der Eroberung beherrscht haben. Darin wird in beklagenswert schlechtem Latein die Geschichte eines Königs erzählt, dessen ehemaliger Lehrer vor seinen Augen von den Heiden gemordet wird. Diese Heiden haben seine Hauptstadt erobert, deren Bischof der alte Mann ist. Deshalb habe ich es dort zurückgelassen, wo ich es gefunden habe.«
    »Und was, meinen Sie, hatte er gefunden?«
    »Da er nichts über die angelsächsische Periode wußte, erkannte Pepperdine nicht, daß das Manuskript, von dem er eine Zusammenfassung schrieb, eine Version einer Geschichte aus Grimbalds ›Leben‹ war.«
    Dr. Locard fuhr auf. Ich hoffte, daß er das Zittern in meiner Stimme nicht bemerken würde, und fügte so ruhig wie möglich hinzu: »Ich bin überzeugt, daß es sich um nichts weniger handelt als um Grimbalds Originaltext.«
    »In diesem Fall wäre das ohne jeglichen Zweifel die Bestätigung, wie stark Leofranc seine Quelle verändert hat.«
    »Und der Beweis, daß er nicht das ganze Manuskript selbst verfaßt hat, wie Scuttard absurderweise behauptet, sondern nur einen existierenden Text verändert hat.«
    »Das würde vermutlich ein Erdbeben in der Alfred-Forschung bedeuten.«
    »Wenn Grimbald sich als authentisch erweisen sollte, wovon ich überzeugt bin, müßte sein ›Leben‹ allen Ernstes als bedeutende Quelle für diese Zeit akzeptiert werden.«
    »Sie müssen darauf brennen, mit der Suche zu beginnen. Gestatten Sie mir, Ihnen die Bibliothek zu zeigen.«
    Er führte mich zurück in die große Halle, und wir stiegen eine alte Holztreppe zum oberen Stockwerk hinauf, wo das Tageslicht durch die Oberlichte der hohen Fenster hereinströmte, so daß man das schöne Pfettendach bewundern konnte.
    »Nach der Plünderung und dem Feuer«, erklärte Dr. Locard, »wurden Hunderte von Büchern und Manuskripten aufgesammelt, wo man sie hingeworfen hatte. Die gedruckten Folianten wurden in das untere Stockwerk gebracht und dort im Verlauf der nächsten Monate und Jahre geordnet. Aber die Manuskripte stellten ein enormes Problem dar. Viele davon waren in unbekannten Sprachen verfaßt oder in Handschriften geschrieben, die sich schwer entziffern ließen. Deshalb nahm der Bibliothekar eine grobe Einteilung vor: Er sortierte sie in solche Dokumente, die so bald wie möglich katalogisiert werden sollten, und solche, die noch warten konnten.«
    »Nach welchen Gesichtspunkten wurde diese Einteilung vorgenommen?«
    »Die, welche warten

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