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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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waren, entfaltete Dr. Locard den Brief auf seinem Schreibtisch, und wir beugten uns gemeinsam darüber.
    »Pepperdines Worte – ›es würde viele Tage oder gar Wochen dauern, die Manuskripte durchzugehen, und die Arbeit würde sich nicht lohnen‹ – besagen eindeutig, daß er unten nicht gesucht hat.«
    »Aber seine Ausdrucksweise ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Ich glaube, daß Bullivant diese Ambiguität bemerken sollte.«
    »Sie meinen, daß er annehmen sollte, Pepperdine habe es doch getan und versuche, diese Tatsache zu verheimlichen?«
    »Genau das.«
    Mit großem Widerwillen mußte ich feststellen, daß sehr viel für Dr. Locards Idee sprach.
    »Und weil die Manuskripte im oberen Stock katalogisiert worden sind, mit Ausnahme einiger weniger, die aber zumindest durchgesehen wurden, und dasjenige, nach dem Sie suchen, nicht gefunden wurde, muß es ja wohl da unten sein, falls es überhaupt vorhanden ist.«
    Seine Logik schien mir nicht von der Hand zu weisen zu sein. Ich hatte für meine Suche nur drei Tage Zeit, und es müßte schon ein besonderer Glücksfall eintreten, wenn ich auf meine Beute stoßen sollte. Ich konnte meinen Unwillen nicht verbergen.
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen Hilfe anbieten, aber meine Assistenten und ich haben schon zu kämpfen, um mit unserer normalen Arbeit fertig zu werden.«
    »Sie waren bereits sehr großzügig mit Ihrer Zeit«, murmelte ich. »Ich bezweifle zwar, daß ich das Manuskript finden werde, aber ich kann mich ja mit dem Gedanken trösten, daß mein Verdienst angesichts der Zustände dort unten um so größer wäre, falls ich doch fündig werden sollte.«
    Ich wollte gerade zur Tür gehen, als Dr. Locard sagte: »Wenn ich es mir genau überlege, wäre eigentlich nichts verloren, wenn ich ein paar Stunden des morgigen Vormittags dafür verwenden würde, das Material im Keller mit Ihnen zusammen zu sichten, weil wir ja sowieso bald damit beginnen wollen, es zu ordnen.«
    Ich wandte mich um. »Das wäre außerordentlich großzügig von Ihnen«, erwiderte ich.
    »Also gut, dann ist es abgemacht. Ich muß um elf Uhr zu einer Sitzung des Domkapitels, wie jeden Donnerstag, aber vorher habe ich ein paar Stunden Zeit. Sollen wir um halb acht anfangen, wenn die Bibliothek geöffnet wird?«
    »Unbedingt.«
    »Außerdem werde ich Ihnen einen meiner Assistenten zur Verfügung stellen. Quitregard kann ich allerdings nicht entbehren, was für Sie sehr bedauerlich ist, denn er ist mehr wert als ein ganzes Heer von Pomerances, aber diesen leider nicht besonders fähigen jungen Mann kann ich Ihnen ausleihen. Er ist übrigens soeben eingetroffen. Ich habe gerade gesehen, daß er in einer der Nischen vor sich hinschmollt. Ich will ihn Ihnen vorstellen.«
    Wir verließen das Zimmer und gingen wieder in die Hauptgalerie, wo wir einen großen, dünnen jungen Mann vorfanden, der in einer der Fensteröffnungen stand und hinausstarrte. Er fuhr zusammen, als wir uns näherten, und wandte uns ein langes, knochiges Gesicht zu, das aussah, als sei es bei seiner Erschaffung mit Gewalt in Form gemeißelt worden. Es kam mir vor wie das Gesicht eines Wikingers, roh und leer, nur in seinen Augen stand der Schmerz der Jugend.
    »Gestatten Sie mir, Ihnen meinen zweiten Assistenten, Pomerance, vorzustellen«, sagte Dr. Locard.
    Ich reichte ihm die Hand, und er stotterte, daß es ihm eine Ehre sei, mich kennenzulernen.
    »Bitte geben Sie Dr. Courtine bei seiner Arbeit jede nur mögliche Unterstützung«, forderte der Bibliothekar ihn auf.
    »Ich werde mein Bestes tun, Sir.«
    »Das ist nicht ganz das gleiche«, sagte Dr. Locard und lächelte mich an.
    Ich verabschiedete mich von ihm und dankte ihm noch einmal. Dann stiegen mein Helfer und ich mit zwei Lampen die Treppe hinunter, und ich sah mich zutiefst entmutigt um. Es war möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß hier irgendwo eine alte Handschrift schlummerte, die fast alles über den Haufen werfen konnte, was man je über das neunte Jahrhundert angenommen hatte. Wenn sich Grimbald verifizieren ließ, dann wäre in Zukunft sein Bericht über König Alfred über jeden Angriff jener höhnischen Ikonoklasten erhaben, die die Begeisterung des Königs für die Bildung aller Klassen, sein Interesse am Islam und der maurischen Kultur, seinen Versuch, Windmühlen zur Trockenlegung von Sümpfen einzusetzen, und all das als anachronistische und nur seinen eigenen Zwecken dienende Erfindungen Leofrancs abtun wollten.
    Meine Chancen waren gering, doch der

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