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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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Hollingrake das Amt des Camerarius, eine sehr großzügige Belohnung, weil Hollingrake somit Gelegenheit bekam, sich zu bereichern. Aber ich fürchte, daß Freeth in dieser Hinsicht führend war, denn ironischerweise machte er Gebrauch von dem gefälschten Dokument, schloß die Chorschule, verkaufte den Grundbesitz und steckte den Erlös in die eigene Tasche.«
    »Nach seinem erbitterten Widerstand gegen Burgoyne? Was für ein geldgieriger Heuchler! Wie konnten die anderen Domherren dem zustimmen?«
    Dr. Locard musterte mich mit einem Anflug von Neugier. »Ich nehme an, daß Freeth Mittel und Wege fand, ihr Gewissen zu beruhigen.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was er meinte. »Er hat sie bestochen?«
    »Freeth war ein überaus wohlhabender Mann geworden. Er besaß nun ein beachtliches Stück Land sowie ein schönes Landhaus, nur wenige Meilen von der Stadt entfernt. Er war in der Lage, sich großzügig zu zeigen.«
    »Und Hollingrake?«
    »Den Sitzungsprotokollen ist merkwürdigerweise zu entnehmen, daß zwischen den beiden Männern ein offener Zwist bestand. Ich gehe daher davon aus, daß sie über der Verteilung der Beute in Streit geraten waren.«
    »Wie traurig, daß auf diese Weise der Nachwelt die Schule der Domchorvikare verlorenging.«
    »So ablehnend, wie die Puritaner jeglicher Kirchenmusik gegenüberstanden, hätte sie das Protektorat sowieso nicht überdauert. Sie besteht jedoch in reduzierter Form weiter, nämlich als Chorschule für Knaben, die noch heute im gleichen Gebäude auf der Nordseite des oberen Domplatzes untergebracht ist, dem alten Torhaus.«
    »Das habe ich heute nachmittag auf dem Rückweg vom Mittagessen im ›Dolphin‹ gesehen.«
    »Mein lieber Freund«, rief Dr. Locard aus. »Dort haben Sie Ihr Mittagessen eingenommen? Es betrübt mich zu hören, daß Sie wie ein Handlungsreisender leben. Meine Frau und ich würden uns sehr freuen, wenn Sie uns die Ehre erweisen würden, mit uns zu essen, solange Sie hier sind.«
    »Das wäre mir ein großes Vergnügen.«
    »Sind Sie mit Ihrer Frau zusammen hier, Dr. Courtine?«
    »Nein, leider nicht. Sie ist … Das heißt, nein, sie ist nicht hier.«
    »Wie lange wollen Sie bleiben?«
    »Nur bis zum Samstag morgen. An diesem Tag erwarten mich meine Nichte und ihre Familie.«
    »Bis Samstag? Das ist nicht lange. Aber ich denke doch, daß meine Frau und ich morgen abend frei sind.«
    »Sie sind sehr liebenswürdig.«
    »Ich werde sie heute nachmittag fragen und Ihnen dann sofort eine Nachricht zukommen lassen.«
    Ich dankte ihm für den Tee und sagte, es sei Zeit, mich wieder ans Werk zu machen.
    »Sind Sie nach der Arbeit des heutigen Vormittags mehr oder weniger zuversichtlich, daß Sie das Manuskript finden werden?«
    »Das müßte schon ein ausgesprochener Glücksfall sein. Falls es noch existiert, nehme ich an, daß Sie es finden werden, Dr. Locard, wenn Sie das Material dort unten katalogisieren – und das vielleicht erst nach Jahren.«
    »Für Sie ist das ein sehr unglücklicher Umstand, denn ich kann mir vorstellen, daß es Ihre Aussichten auf den neuen Lehrstuhl sehr verbessern würde, wenn Sie es entdeckten.«
    Ich lachte unbehaglich. »Ich habe mich nicht einmal beworben.«
    »Aber Sie müssen ein sehr ernst zu nehmender Kandidat sein, besonders jetzt, da Scuttard seine Bewerbung wahrscheinlich zurückziehen wird.«
    »Scuttard will seine Bewerbung zurückziehen? Ja warum denn das? Ist irgend etwas Diskreditierendes über ihn ans Tageslicht gekommen?«
    Dr. Locard lächelte. »Nichts dergleichen. Soviel ich weiß, soll ihm wahrscheinlich die Präsidentschaft seines eigenen Colleges angeboten werden.«
    »In seinem Alter?«
    »Er wird von der gegenwärtigen Regierung hoch geschätzt, wie seine kürzlich erfolgte Berufung in die Kathedralkommission beweist. Er ist ein sehr fähiger Mann mit gesunden Ansichten, der es weit bringen wird.«
    »Und er hat mächtige Freunde, da stimme ich Ihnen zu. Er wird das Vertrauen der Regierung sicher rechtfertigen.« Ich erhob mich. »Ich will Sie jetzt nicht länger aufhalten, Dr. Locard.«
    Mein Gastgeber stand ebenfalls auf. »Wohin darf ich Ihnen die Nachricht schicken, daß meine Frau und ich morgen nicht zum Abendessen eingeladen sind? Ich nehme an, daß Sie im ›Dolphin‹ abgestiegen sind?«
    »Nein, ich wohne bei einem alten Studienfreund. Sie werden ihn vermutlich kennen: Austin Fickling.«
    »Natürlich kenne ich ihn.« Dr. Locard ging quer durch den Raum zu dem Glaskasten, und

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