Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
Vom Netzwerk:
doch kein solches Schaf«, gab der Alte mit dem Hut zurück. »Weißt du nicht, was über ihn geredet wird?«
    Ich bemerkte, daß der andere Alte seinen Saufgenossen am Arm packte und einen Blick in meine Richtung warf, und als auch dieser sich nach mir umdrehte, schämte ich mich plötzlich. Wieso hörte ich mir hier den Klatsch dieser boshaften, ungebildeten Leute an? Und doch hatte das, was sie gesagt hatten, mir gezeigt, welch ein Gewicht auf Austins Gemüt lasten könnte. Offensichtlich gab es ein Problem an der Schule, und das würde ernste Folgen für meinen Freund haben. Ich erinnerte mich, daß sowohl Gazzard als auch Dr. Locard von einer wichtigen Sitzung des Domkapitels gesprochen hatten, die morgen früh stattfinden sollte. Aber wer war Slattery und wieso sollte er alle Trümpfe in der Hand haben?
     
    Es war spät. Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Domplatz. Als ich wenige Minuten später um die Ostseite der Kathedrale herumging, sah ich zu meiner Überraschung, daß die Fenster erleuchtet waren und sich im Inneren Schatten bewegten. Am Abend zuvor hatte der erste Küster gesagt, daß die Männer bis acht oder neun Uhr arbeiten würden. Ich sah auf meine Uhr. Es war halb elf. Dann dachte ich an die Unterhaltung, die ich gerade gehört hatte, und stieg die Stufen hinauf. Sowie ich die Kirche betrat, mußte ich nach Luft schnappen und fiel fast in Ohnmacht, denn es schlug mir ein intensiver und ganz entsetzlicher Gestank entgegen. Es roch nach etwas sehr Altem, Verwestem – etwas sehr viel Schlimmerem als nur schlechten Abflußrohren.
    Unter dem Vierungsturm bewegten sich Laternen, auf die ich nun zuging. Mehrere Arbeiter waren mit ihren Werkzeugen zugange, und ich sah Dr. Sisterson, der ein wenig abseits stand, in ein Gespräch mit dem Vorarbeiter vertieft. Der alte Küster sah ihnen zu, wie am Tag zuvor auch, und grüßte mich mit feierlicher Höflichkeit.
    »Was, um Himmels willen, verursacht denn diesen Gestank«, fragte ich. »Ist eine Gasleitung gebrochen?«
    Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Das kommt davon, wenn man die Kathedrale antastet! Sie hätten niemals damit anfangen dürfen. Als sie das Pflaster an dieser Stelle aufhoben, ist das da drüben entstanden.« Er deutete auf einen haarfeinen, etwa sechzig Zentimeter langen Riß in der Wand des Querschiffes.
    »Der Boden daneben muß sich gesenkt haben«, sagte ich. »Ist eine Gasleitung defekt? Das würde den Geruch erklären.«
    Er zuckte verzweifelt und hilflos mit den Schultern. »In diesem Teil des Gebäudes sind keine, Sir. Wir haben keine Ahnung, wo dieser Gestank herkommt.«
    »Dann stehe ich ebenfalls vor einem Rätsel.«
    »Der Vorarbeiter hat genau das getan, wozu Sie geraten haben und was Dr. Sisterson ihm aufgetragen hat.«
    Seine Stimme klang vorwurfsvoll, und ich sagte rasch: »Ich fürchte, er hat bei dem Versuch, meinen Rat zu befolgen, einen groben Fehler gemacht. Man muß eine ganze Menge über die Konstruktion dieser alten Gebäude wissen, bevor man daran arbeiten darf.«
    »Und Sie wissen eine Menge darüber, Sir?«
    Ich sah ihn scharf an. Wollte er etwa zum Ausdruck bringen, daß ich bis zu einem gewissen Grad für die Misere verantwortlich sei? »Nun ja, ich bin so etwas wie ein Historiker für Architektur, wenn ich natürlich auch nur ein Amateur bin. Aber da fällt mir ein: Ich würde sehr gern in den Turm hinaufsteigen.«
    In diesem Augenblick sah Dr. Sisterson in meine Richtung, lächelte und bedeutete mir, daß er gleich zu mir kommen würde.
    »Es tut mir ja sehr leid, Sir«, antwortete der alte Küster, »aber das steht außerhalb meiner Befugnis. Ich habe nicht einmal den Schlüssel zu dieser Tür. Auf Anordnung des Dekans und des Domkapitels darf niemand dort hinaufgehen; es ist zu gefährlich.«
    »Ich verstehe«, sagte ich. Schon vor zweihundert Jahren war der Turm bereits in bedenklichem Zustand gewesen, und das konnte sehr gut noch immer der Fall sein.
    Dr. Sisterson kam herüber und begrüßte mich. »Diese Sache macht mir wirklich Sorgen«, sagte er, doch selbst in dieser kritischen Situation lächelte er immer noch freundlich.
    Ich rümpfte die Nase. »Und dann dieser Geruch!«
    »Es ist absolut rätselhaft, wo er herkommt. Mir graut bei dem Gedanken, was Bulmer sagen wird, wenn er morgen zurückkommt. Er hat immer eine reichlich scharfe Zunge, selbst wenn alles gutgeht.«
    Ich hielt ihm Sheldricks Manuskript hin. »Ich bin froh, daß diese zufällige Begegnung mir die Gelegenheit gibt,

Weitere Kostenlose Bücher