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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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zuspitzen.«
    »Sich zuspitzen! Hier spitzt sich immer was zu. Mittelmäßige Charaktere leben von unechten Aufregungen. Sie sind ihnen ein Ersatz für das Geistesleben, das sie nicht haben. Aber sonst findet hier wirklich nichts von Bedeutung statt. Du hast dir da wohl so eine Art Geschichte ausgedacht. Du hast zuviel Phantasie. Und deshalb siehst du nicht, was sich direkt vor deiner Nase abspielt. Du bist so darauf erpicht, alles zu überblicken, daß dir Dinge entgehen, die für weniger scharfsichtige Leute ganz offensichtlich sind. Es tut mir leid, aber ich muß dich enttäuschen.«
    Ich lachte ein bißchen unangenehm berührt. »Bist du sicher? Ich habe gehört, daß die Schule vielleicht einen Teil ihrer Angestellten entlassen müssen wird.«
    »So? Meinst du vielleicht, ich möchte den Rest meines Lebens in dieser verdammten Kleinstadt zubringen? Ich sehne mich von ganzer Seele ungeduldig danach, hier wegzukommen.«
    »Aber Austin, du brauchst doch dein Gehalt, um davon zu leben!«
    »Geld ist das einzige, woran man niemals einen Gedanken verschwenden sollte.«
    Ich fand seine Einstellung erstaunlich. Und doch war er als Student ebenso unbekümmert gewesen und hatte eine Haltung an den Tag gelegt, die sonst eher für Söhne aus wohlhabenden Familien charakteristisch ist. Austins Vater war jedoch noch weniger begütert gewesen als mein eigener. Und während ich infolge meiner vergleichsweise geringen Geldmittel ein dringendes Bedürfnis entwickelt hatte, mir eine sichere, interessante und gutbezahlte Stellung zu erarbeiten, hatte sich Austin um solche Dinge niemals Sorgen gemacht.
    »Willst du damit sagen, daß du jetzt ein Vermögen hast?«
    Er lächelte. »Ich besitze keinen Pfennig.« Mit einer ironischen Geste der Resignation, an die ich mich so gut erinnerte, warf er den Kopf zurück und wies mit ausgebreiteten Armen auf den Raum – den fadenscheinigen Teppich, das alte, baufällige Mobiliar. »Mein Gehalt reicht kaum zum Leben, und ich habe nichts ersparen können. Falls die vergiftete Atmosphäre und die Feindseligkeit, die hier herrschen, zur Folge haben sollten, daß ich ohne Referenz gehen muß, dann wäre meine Situation schwierig. Aber ich bezweifle, daß das passieren wird.«
    »Hat Appelton etwas gegen dich?«
    Er sah mich entsetzt an. »Appelton? Was hat denn der mit mir zu tun?«
    »Er ist doch der Schulleiter oder Direktor, oder nicht?«
    »Der Chorschule!« rief Austin aus. »Er ist der Leiter der Chorschule der Kathedrale.«
    »Gehört die Chorschule denn nicht zum Courtenay Institut?«
    »Natürlich nicht. Das sind zwei vollständig voneinander getrennte Einrichtungen. Wir haben einen Direktor.«
    »Ich dachte, die Chorschule sei einfach ein Teil der Lateinschule.«
    »Absolut nicht. Die Chorschule untersteht direkt dem Dekanat und dem Domkapitel.«
    »Und das Courtenay Institut untersteht nicht dem Domkapitel?«
    Er schüttelte sich. »Was für ein Gedanke! Weil die Domherren sich ständig einmischen, diese kleinkarierten alten Waschweiber, ist die erzieherische Qualität der Chorschule unter aller Kritik. Es kränkt mich wirklich, daß du geglaubt hast, ich hätte damit etwas zu schaffen.«
    »Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, daß zwischen den beiden Schulen ein solcher Unterschied besteht.«
    »Das Courtenay Institut hat zehnmal so viele Schüler, denn die Chorschule nimmt ja nur die Chorsänger auf. Es ist erheblich besser als das Torhaus. Das ist der alte Name für die Chorschule, und er ist ziemlich beleidigend, denn zwischen den beiden Schulen hat schon immer eine Mißstimmung bestanden.«
    »Ich nehme an, daß die Jungen sich prügeln.«
    »Das tun sie allerdings. Aber leider sind die Spannungen zwischen den beiden Schulen so groß, daß auch Freundschaften zwischen den Lehrern nicht gern gesehen werden. Ich habe zufällig einen guten Freund an der Chorschule – einen großartigen Mann, und ich möchte, daß du ihn kennenlernst –, aber die Tatsache, daß wir miteinander befreundet sind, hat in dieser vergifteten kleinen Gemeinschaft eine ganze Menge Unwillen erregt.«
    »Das würde ich dir kaum abnehmen, wenn ich nicht wüßte, wie es an einem College in Cambridge zugeht.«
    »Wo hast du diese Geschichte gehört?«
    Ich genierte mich zu sehr, zuzugeben, daß ich den Klatsch in einer öffentlichen Bar aufgeschnappt hatte. Ohne direkt zu lügen, antwortete ich deshalb: »Du erinnerst dich sicher, daß ich gestern abend mit dem alten Küster gesprochen habe und daß er von der

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