Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
Vom Netzwerk:
Schule erzählt hat? Er hat gesagt, daß morgen bei der Sitzung des Domkapitels darüber diskutiert werden soll.«
    »Ja, es gibt ein Problem an der Chorschule, das die Domherren betrifft. Aber das Courtenay Institut hat nichts damit zu tun. Ich habe dich wohl mißverstanden. Bei uns läuft bloß das übliche schulmeisterliche Gezänk.«
    Er sprach so ungehalten und wandte sich dann so abrupt ab, daß mir klar wurde, wie sehr ich ihn verärgert hatte. Nach langem Schweigen fragte ich ihn: »Möchtest du wirklich, daß ich bleibe? Bin ich dir nicht im Weg?«
    Er streckte den Arm aus und klopfte mir auf die Hand. »Nein, nein. Geh nicht fort. Es ist wichtig, daß du hier bist. Damit kannst du mir sehr helfen.«
    Ich war tief gerührt über seine Worte.
    Er fuhr fort: »Bitte bleib noch ein paar Tage da.«
    »Länger als bis zum Sonnabend kann ich aber nicht bleiben.«
    »Sonnabend, ja, das ist ausgezeichnet.«
    »An diesem Nachmittag muß ich dann bei meiner Nichte sein. Länger kann ich dir nicht Gesellschaft leisten.«
    »Also dann bis Sonnabend. Das wird reichen. Ich fürchte, ich bin bisher kein guter Gastgeber gewesen. Ich werde mich bemühen, das zu ändern.« Er stand auf und füllte mein Glas nach. Dann setzte er sich auf seine übliche Weise seitwärts in den Sessel und ließ sich langsam nach unten sinken, bis sein Gesicht, von mir aus gesehen, von seinen Füßen eingerahmt wurde.
    Wieder schwiegen wir, und ich dachte über seine seltsamen Worte nach – »Sonnabend, das wird reichen.«
    Plötzlich fragte er mich: »Wie war dein Besuch in der Bibliothek? Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«
    Ich lachte. »Lieber Himmel, Austin, so leicht ist das nicht. Aber Dr. Locard hilft mir sehr.«
    »Ein wirklich reizender Mann«, meinte er ironisch.
    »Ich fand ihn sehr freundlich«, sagte ich vorsichtig.
    »Ja, natürlich. Solange du ihm irgendwie nützlich sein oder etwas für seine Karriere tun kannst, ist er immer freundlich. Nicht charmant, denn Charme hat er keinen. Charme wäre ihm verdächtig und ganz bestimmt unter seiner Würde.«
    »Nun ja, zu mir war er jedenfalls nett. Wir haben über den Mord an Dekan Freeth gesprochen.«
    »Das muß aber spannend gewesen sein!«
    »Es war sehr interessant. Bevor ich Cambridge verlassen habe, fand ich einen Brief aus dem Jahr 1663, der ein neues Licht auf die Geschichte wirft, und ich glaube, er wird genug Stoff für einen Artikel in der ›Proceedings of the English Historical Society‹ liefern; und zwar für einen, der einigen Wirbel machen könnte.«
    »Dann solltest du dich beeilen und ihn schreiben, bevor Locard es tut und dir die Schau stiehlt.«
    »Das glaube ich nun wirklich nicht, Austin. Er hat bisher sehr wenig veröffentlicht, aber das Wenige ist von höchster Qualität und stellt meines Wissens einen bedeutenden Beitrag zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die frühe keltische Kultur dar – ein Gebiet, dem erst in jüngster Zeit ein wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Locard weist nach, wie sehr die Laien, die bis vor kurzem noch einen Großteil der Forschungsarbeit geleistet haben, sich geirrt haben. Ich glaube kaum, daß dieser Mann sich solcher Mittel wie Plagiat und Diebstahl geistigen Eigentums bedienen würde.«
    »Es liegt aber an seinem Ehrgeiz, der ihn dazu veranlaßt hat, sich in einem neuen wissenschaftlichen Gebiet hervorzutun, nicht an seiner Liebe zur Wissenschaft. Er ist kein Gelehrter, sondern ein Politiker, und du solltest nicht davon ausgehen, daß dein Erfolg ihm am Herzen liegt.«
    »Ganz im Gegenteil, er war wirklich willens, mir zu helfen. Er hat mir sogar einen seiner Mitarbeiter zur Verfügung gestellt, der allerdings keine besondere Leuchte ist, wie ich leider sagen muß.«
    Er sah mich mit plötzlichem Interesse an. »Du meinst doch nicht etwa dieses seltsame Geschöpf, Quitregard? Der ist das schlimmste Klatschmaul in Thurchester, und du tätest gut daran, ihm kein einziges Wort zu glauben.«
    »Nein, den anderen, Pomerance. Der ist nicht sehr hilfreich und auch nicht besonders nett. Quitregard dagegen scheint mir ein sehr angenehmer junger Mann zu sein. Ich weiß nicht, warum du ihn seltsam nennst. Aber wie dem auch sei, ich habe den ganzen Tag damit verbracht, ohne Erfolg nach dem Manuskript zu suchen.«
    Trotz seines Versprechens, sich mehr Mühe zu geben, war Austin wieder in sein trübsinniges Schweigen verfallen.
    »Weil wir gerade von Dr. Locard reden«, sagte ich. »Ich habe heute abend seine Frau

Weitere Kostenlose Bücher