Die schwarze Kathedrale
zu sein?«
Noch bevor ich darauf antworten konnte, sagte Austin: »Courtine hat recht. Mord ist das absolute Böse, und wer einen Mord begeht, kann nicht hoffen, der ewigen Verdammnis zu entrinnen.«
Mr. Stonex fuhr herum und warf Austin einen seltsamen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. In diesem Moment begann die Uhr neben der Tür das letzte Viertel zu schlagen.
»Es muß halb sechs sein«, sagte Austin. »Wir dürfen das Ende des Abendgottesdienstes nicht versäumen. Schau auf deine Uhr, Ed.«
Ich war verwundert über diese Aufforderung, tat ihm aber den Gefallen. »Ja, du hast recht.«
»Warum geht diese Uhr hier als einzige falsch?« fragte Austin den alten Herrn plötzlich. »Wird sie durch etwas gehemmt?«
»Gehemmt?«
»Ja, werden ihre Gewichte durch irgend etwas behindert?« Unser Gastgeber lächelte, ging durch das Zimmer und öffnete rasch den Uhrkasten. Mit dem Rücken zu uns griff er hinein und erklärte dann: »Nein, da ist nichts.«
Als er sich wieder umdrehte, glaubte ich zu sehen, daß er etwas in seiner Tasche verschwinden ließ, und ich nahm an, daß es der Schlüssel zum Uhrenkasten war, obwohl ich nicht gesehen hatte, daß er ihn aufgeschlossen hatte.
»Danke, Mr. Fickling«, sagte er. »Das war eine sehr gute Idee.«
In diesem Augenblick fanden alle weiteren Diskussionen über die Zeit durch das Schlagen der Uhr der Kathedrale ein Ende. Was immer meine Taschenuhr anzeigen mochte – in Thurchester war es halb sechs.
»Wir müssen jetzt wirklich gehen, oder wir versäumen den Gottesdienst doch noch.«
Obwohl es mir ein wenig unhöflich erschien, so abrupt aufzubrechen, fiel mir doch ein, daß unser Gastgeber um sechs an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wollte und unseren Aufbruch vermutlich wohl nicht bedauern würde. Wir erhoben uns, gingen durch die Küche zur Hintertür und verabschiedeten uns. Als ich meinem Gastgeber die Hand schüttelte, wurde an die Tür zur Straße geklopft. »Er ist sehr pünktlich«, sagte der alte Herr. Und als er meinen fragenden Gesichtsausdruck bemerkte, erklärte er: »Das ist der Kellner vom Gasthaus auf der anderen Straßenseite. Er bringt mir einen Krug Bier.«
Ich war überrascht, denn von einer solchen Angewohnheit des alten Bankiers hatte Quitregard nichts verlauten lassen. Nachdem wir uns noch ein letztes Mal für seine Gastfreundschaft bedankt hatten, verließen wir das Haus. Wir hatten uns ein paar Minuten länger als eine dreiviertel Stunde dort aufgehalten.
Donnerstag abend
Wir eilten zur Kathedrale, und als wir eintraten, stellten wir fest, daß der Abendgottesdienst gerade beendet war. Daher setzten wir uns nicht, sondern blieben hinter den Bänken stehen und hörten dem Orgelspiel zu, dem Schluß einer Fuge von Bach. Der Gestank war noch erheblich aufdringlicher als am Tag zuvor, und obwohl es in der Kathedrale sehr kalt war, stieg mir der Geruch warm in die Nase. Ich war sehr froh, daß wir nicht lange bleiben wollten.
Der Pfarrer, die Ministranten und der Chor verließen den Altarraum, und die kleine Gemeinde zerstreute sich. Wir blieben stehen und sprachen leise miteinander, bis nach ein oder zwei Minuten plötzlich ein Mann neben uns auftauchte. Er mußte unbemerkt von der Ostseite der Kathedrale herkommen sein.
»Das ist Mr. Slattery«, stellte Austin ihn vor, »Martin Slattery.«
Er war hochgewachsen, etwa fünfzehn Jahre jünger als wir und hatte ein sehr auffälliges Gesicht – schön, verwöhnt und anspruchsvoll. Sein glattes schwarzes Haar war straff zurückgekämmt und glänzte wie ein Fell. Insgesamt wirkte er auf mich wie ein wildes Tier, und mir fiel ein Ausdruck ein, der gewöhnlich nur für Jagdhunde verwendet wird: Er sah aus, als sei er ständig am Passen. Mit seinen starren blauen Augen suchte er mein Gesicht nach etwas ab, das für ihn von Vorteil sein oder eine Bedrohung darstellen könnte. Ich hatte den Eindruck, daß er sicher ungemein charmant sein konnte, aber er hatte auch etwas an sich, das in mir die Überzeugung weckte, er sei zu allem fähig. Aber ich hatte natürlich auch allen Grund, Austins Freunden zu mißtrauen.
Slattery war ein großer Mann, doch die Hand, die er mir nachlässig entgegenstreckte, war erstaunlich zart. Sein Händedruck war fest, und ich war erleichtert, als er meine Hand schnell wieder freigab.
»Ich bedaure sehr, daß ich Ihnen nur ein oder zwei Minuten lang zuhören konnte«, sagte ich.
»Ich habe heute abscheulich gespielt«, antwortete er mit einem
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