Die schwarze Kathedrale
Augenblick kam Austin mit den Getränken. Er hörte gerade noch die letzten Worte und warf seinem Freund einen Blick zu – einen sehr beunruhigten Blick, wie mir schien.
»Leben Sie schon lange hier?« fragte ich.
»Acht oder neun Jahre. Ursprünglich bin ich hierhergekommen, weil ich hier Verwandtschaft habe …« Er unterbrach sich und sah Austin an. Dann fuhr er fort: »Beziehungsweise, weil ich einen Verwandten hier hatte. Nur meine sträfliche Trägheit hält mich hier fest. Ich bin wie eine Wasserschnecke, die in eine Ecke ihres Tümpels kriecht und dann sitzenbleibt – nicht weil sie sich dort besonders wohl fühlt, sondern weil sie faul bis auf die Knochen ist und sich deswegen nicht mehr von der Stelle rührt.«
Ich lächelte über den Vergleich und fragte: »Sind Wasserschnecken denn faul bis auf die Knochen?«
»Haben sie Knochen?« konterte er und nahm grinsend einen Schluck aus seinem Glas.
»Es gibt sicher schlechtere Wohnorte als eine englische Bischofsstadt«, gab ich zu bedenken.
»Aber auch bessere. Orte mit Musik und Gelächter und sonnenbeschienenen Straßen.«
»Sie sprechen von Italien?«
Er nickte.
»Kennen Sie Italien gut?« fragte ich.
»Nicht so gut, wie ich es mir wünschte. Ich habe das glücklichste Jahr meines Lebens dort verbracht. Einer der Vorzüge dieses Landes ist, daß die interessantesten Engländer dort leben. Zum Beispiel all diejenigen, welche nicht in den ordentlichen Taubenschlag passen, den der Protestantismus uns aufzwingt – Paare, die aus einem Mann und einer Frau bestehen, die vor dem Gesetz miteinander verheiratet sind. Auch Fickling habe ich dort getroffen.«
»Ach, wirklich? Ich hatte angenommen, daß Sie sich hier kennengelernt hätten.«
»Nein, nein, in Italien. Es ist genau umgekehrt, denn Fickling war derjenige, der mir hier zu meinem Posten in der Kathedrale verhelfen hat. Wir sind uns bei gemeinsamen Freunden in Florenz begegnet, die wußten, daß wir beide eine Verbindung zu dieser Stadt hatten. Ich hatte zufällig erwähnt, daß ich gerade von einem kurzen und ziemlich erfolglosen Besuch bei meinem Verwandten hier kam. Sie können sich also vorstellen, wie viele glückliche Erinnerungen für mich mit Italien verbunden sind. Sie sind solche Musikliebhaber, die Italiener, und sie verstehen soviel davon; während ich hier täglich schlechter spiele, weil ich keine Zuhörer habe, die mein Spiel richtig zu beurteilen vermögen. Und weil ich, so schlecht ich auch spiele, nie jemanden höre, der es besser kann, hasse ich inzwischen mein eigenes Spiel.«
»Nicht so sehr wie die Gemeinde«, warf Austin ein.
»Dann werden ja alle Beteiligten gleichermaßen erfreut sein, daß die Orgel mindestens zwei Wochen lang nicht benutzt werden kann.« Leise fügte er hinzu. »Es ist sowieso unwahrscheinlich, daß ich sie überhaupt noch einmal spiele.«
»Wird es denn so lange dauern, bis sie repariert ist?« fragte Austin.
Slattery beachtete die Frage nicht, sondern bedachte Austin mit einem Lächeln, das auch mich in sein Vertrauen mit einschloß. »Wissen Sie was? Ich habe von Bulmer, diesem Idioten von Architekten, erfahren, warum die Arbeiter den ganzen Schaden verursacht haben. Am Dienstag abend hat irgend so ein Besserwisser von Tourist in der Kathedrale dem alten Gazzard eingeredet, daß sie mehr Schaden anrichten würden, wenn sie nach ihrem ursprünglichen Plan vorgingen, als wenn sie auf die Weise verfahren würden, die sich dann als so verheerend erwiesen hat. Gazzard, dieser verdammte alte Dickschädel, der sich in alles einmischen muß, gab diesen Rat an Sisterson weiter, weil Bulmer gerade eines seiner unzähligen Kinder begraben mußte und deshalb nicht da war. Und der Domkustos, dämlich wie er ist, befahl den Männern, nach dem neuen Plan weiterzumachen, und beschwor damit das ganze Unheil herauf.«
»Ich vermute, daß der Rat nicht richtig befolgt wurde. Und wenn die Leute bei ihrem ursprünglichen Plan geblieben wären, hätte das wahrscheinlich noch katastrophalere Folgen gehabt.«
»Selbst dieser Trottel Bulmer hätte schwerlich eine schlimmere Situation herbeiführen können. Jetzt müssen sie Teile des Fußbodens und die Wand des Querschiffs anheben. Weiß der Teufel, wie das noch enden wird. Vielleicht fliegt ihnen ja zuletzt das ganze verdammte Gebäude um ihre dämlichen Ohren. Aber das braucht mich jetzt nicht mehr zu kümmern.«
Er lachte und nahm einen großen Schluck von seinem Bier. Ich fing Austins Blick auf, und er sah
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