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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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gewinnenden Lächeln. »Sie haben also nichts versäumt.«
    Sein Gesicht kam mir bekannt vor. Ich hatte es vor kurzem gesehen, konnte mich aber nicht erinnern, wo.
    »Das ist ganz gewiß nicht wahr«, murmelte ich gedankenlos. »Ich versichere Ihnen, daß ich schlechter gespielt habe als je zuvor in dieser Kathedrale. Ich konnte mit meinen Händen nichts anfangen. Irgendwie hatten sie ihren eigenen Willen.« Er streckte sie von sich, als wolle er sie zur Erhebung der Anklage antreten lassen, aber dann musterte er sie mit ironischem Respekt, der mich seltsam unangenehm berührte. »Ein unverzeihliches Unrecht gegenüber der Orgel.«
    »Sie werden sie sicher noch oft spielen, wenn sie wieder in Betrieb ist«, erwiderte ich.
    »Das möchte ich bezweifeln.« Bei diesen Worten lächelte er Austin an, der ihn die ganze Zeit angestarrt hatte, nun aber den Blick senkte. In diesem Augenblick sah ich den alten Küster Gazzard nur wenige Meter von uns entfernt stehen und zu uns herübersehen. Er warf mir einen mißbilligenden Blick zu, und als ich ihm zunickte, wandte er sich ab.
    »Sollen wir in ein Wirtshaus gehen?« fragte Austin.
    Wir stimmten zu und folgten ihm aus der Kathedrale. Austin und ich gingen voraus, und erst als ich mich nach unserem Begleiter umsah, fiel mir auf, daß er unübersehbar hinkte. In diesem Augenblick wurde mir klar, daß er die schwankende Gestalt gewesen war, die ich in der vergangenen Nacht auf dem Domplatz gesehen hatte. Das mußte der Grund sein, warum ich mir eingebildet hatte, den Mann irgendwoher zu kennen. Dennoch gab es noch etwas in meiner Erinnerung, das durch diese Erkenntnis nicht befriedigt wurde. Wenn er derjenige war, der in das kleine Gäßchen eingebogen war, dann mußte er auch derjenige sein, den ich auf der Orgelempore gesehen hatte. Aber wie war er dann von dort herunter auf den Domplatz gelangt, ohne daß ich ihn bemerkt hatte? Es mußte noch eine zweite Treppe geben. Ich verlangsamte meine Schritte, um Slattery aufholen zu lassen, und ließ ihn dann mit Austin vorausgehen.
    Obwohl ich erleichtert war, eine natürliche Erklärung für das gefunden zu haben, was ich schon fast als übernatürliche Erscheinung akzeptiert hatte, erinnerte ich mich immer noch mit Unbehagen an die Ausstrahlung des Bösen, die von der Gestalt ausgegangen war. Und was hatte er zu jener nächtlichen Stunde hier zu suchen gehabt? Andererseits war die Orgelempore ein sehr natürlicher Aufenthaltsort für einen Organisten. Ich überlegte, ob er mich wohl wiedererkannt hatte, verwarf den Gedanken jedoch, weil er nichts dergleichen zu erkennen gegeben hatte.
    Austin und sein Freund gingen nur wenige Schritte vor mir her, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich leise. Einmal faßte Slattery Austin am Arm und hielt ihn eine Zeitlang fest. Wenige Minuten später befanden wir uns in einem Wirtshaus, dem »Angel Inn« in der Chancellery Street.
    Austin ging zur Bar, während Slattery und ich uns in eine Nische setzten, von der aus man auf die Straße hinaussehen konnte.
    »Bereitet es Ihnen Freude zu unterrichten, Mr. Slattery?« Ich suchte nach einem Thema, das uns beide interessierte. »Austin hat mir erzählt, daß sie Musikunterricht an der Chorschule erteilen und in der Stadt auch Privatschüler haben.«
    »Ob es mir Freude bereitet? Ich empfinde es wie eine Gefängnisstrafe. Ich mache es nur deshalb, weil ich in meiner Jugend meiner Leidenschaft für die Musik nachgegangen bin und mein brutaler Trunkenbold von Vater es nicht nur verabsäumt hat, mir eine andere Möglichkeit zu verschaffen, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern mich bei einem seiner betrunkenen Wutanfälle auch noch zum Krüppel geschlagen hat. Darum bin ich dazu verurteilt, die Musik zum Beruf zu machen, was mein Interesse daran beinah erstickt hat.«
    Ohne meine Verwunderung über diese Bemerkung zu zeigen, beharrte ich: »Aber die Chorbuben sind doch begabte Musiker, oder nicht? Sie müssen lohnende Schüler sein.«
    »Wenn der Kantor sein Geschäft verstünde, könnte das vielleicht der Fall sein. Aber weil er keinerlei Verständnis für die Musik hat, wählt er die Knaben nach allen möglichen Gesichtspunkten aus – nur nicht wegen ihrer Stimmen und musikalischen Begabung.« Er lächelte mich strahlend an und fügte hinzu: »Und ich muß feststellen, daß ich mich Stück für Stück an die Mittelmäßigkeit anpasse, die in einem so teuflischen Loch von einer Stadt wie dieser hier vorherrschen muß.«
    In diesem

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