Die schwarze Kathedrale
erklärt Ihnen, daß er zu genau diesem Zwecke gekommen sei.« Er schwieg und wartete, daß Austin etwas sagte. Mein Freund stand jedoch nur stumm da und starrte ihn an. Unbeirrt fuhr der alte Herr fort: »Hollingrake klettert durch das Fenster und sagt Ihnen etwas, worüber Sie sehr erfreut sind.« Wieder schwieg er, doch Austin reagierte nicht auf sein Stichwort.
»Er erzählt Ihnen, daß er einen Plan für Ihre Flucht hat. Er erklärt Ihnen, daß der Wachposten an der Hintertür ihm soeben gestattet hat zu passieren, und nicht auf die Idee kommen wird, ihn aufzuhalten, wenn er wieder geht. Sie wissen sofort, was der Schatzmeister vorhat. Er gibt Ihnen seinen auffälligen Hut und seinen Umhang, und er und der Junge sind Ihnen behilflich, aus dem Fenster zu klettern. Das letzte, was Ihnen in den Sinn kommt, ist, einen Gedanken daran zu verschwenden, was das für schwere Dinge sein mögen, die in den Taschen des Umhangs stecken. Der Junge beobachtet, wie Sie an dem ahnungslosen Soldaten vorbei durch das Gartentor gehen. Kaum eine halbe Minute später sieht er mich, den Offizier, und die beiden Soldaten aus dem Haus rennen und Sie verfolgen. Wir haben Sie erwartet!«
»Und ich bin in die Falle getappt!« antwortete ich grimmig. »Etwa zwei Minuten später hört der Junge Gewehrschüsse. Er rennt auf den Domplatz hinaus und findet Sie am Eingang zum Kloster auf dem Boden liegend. Sie sind von Soldaten umringt. Auch etliche Bürger der Stadt stehen in der Nähe und sehen bestürzt zu. Ich durchsuche die Taschen Ihres Umhangs, und – Schmach und Schande! – ziehe einen Haufen Juwelen und einige kleinere Stücke vom goldenen Meßgeschirr der Kathedrale heraus. Ich traue meinen Augen kaum. Ich zeige sie den Bürgern, die sie mit Entsetzen erkennen. Sie liegen am Boden, unfähig zu sprechen, und während Sie langsam verbluten, werden Sie Zeuge Ihrer eigenen Schande.«
»Armer Freeth«, sagte ich. Was auch immer er in seinem Leben getan haben mochte, dieser schändliche und ungerechte Tod verdiente Mitleid. Dazuliegen und in dem Wissen zu verbluten, daß die Leute ihn als feigen Dieb in Erinnerung behalten würden.
Der alte Herr lächelte. »Selbst der Küchenjunge als wichtigster Zeuge verstand nicht, was tatsächlich vorging.«
»Aber es gibt andere Zeugenaussagen, die sich von diesem Bericht unterscheiden«, wandte ich ein und erzählte ihm von Pepperdines Brief. »Sein Augenzeuge behauptet, daß Freeth sah, wie Soldaten die Bibliothek plünderten, und deshalb aus dem Haus lief, um sie daran zu hindern. Er starb als ein tapferer Gelehrter, der seine Bücher verteidigte.«
Mein Gastgeber stieß ein schrilles, verächtliches Lachen aus. »So ein Unsinn! Sie können die Bibliothek von diesem Haus aus ja nicht einmal sehen.«
»Sind Sie sicher?«
»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Vom Eßzimmer aus hat man den besten Blick über den Domplatz. Was man von dort aus nicht sieht, kann man mit Sicherheit auch von keinem anderen Zimmer aus sehen.«
Als Mr. Stonex Anstalten machte, den Korridor entlang zu gehen, rief Austin hinter ihm her: »Was haben Sie vor? Da können Sie doch nicht hineingehen! Sie können unmöglich das Eßzimmer meinen!«
Mr. Stonex sah ihn gelassen an. »Selbstverständlich meine ich das Eßzimmer.«
»Sie müssen das Arbeitszimmer meinen«, widersprach Austin.
»Nein, ganz gewiß nicht.« Er lächelte mich an. »Das Arbeitszimmer liegt auf der Straßenseite.«
»War dies hier das Studierzimmer des Dekans?« fragte ich und deutete auf eine Tür hinter uns.
Er nickte. »Könnte ich es sehen? Ich würde gern Ihre Hypothese überprüfen, daß der Dekan gehört haben soll, wie der Offizier sagte, was er mit ihm vorhabe.«
»Mit Vergnügen«, entgegnete er und griff in seine Tasche. »Diesen Raum halte ich stets verschlossen.« Ein Ausdruck des Unwillens trat auf sein Gesicht. »Unglücklicherweise stelle ich gerade fest, daß ich meine Schlüssel nicht zur Hand habe. Aber ich könnte natürlich hinaufgehen und sie holen, wenn Ihnen das Freude bereitet.«
»Diese Mühe möchte ich Ihnen nicht zumuten«, antwortete ich überrascht, denn ich erinnerte mich, daß der junge Quitregard mir erzählt hatte, daß Mr. Stonex seine Schlüssel immer an einer Kette bei sich trug.
Er zuckte gleichgültig die Achseln, als ob ihm die ganze Sache vollkommen egal sei, und ging vor uns her den Korridor entlang und eine Treppe hinauf. Oben öffnete er eine Tür und führte uns ins Eßzimmer. Es war ein großer,
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