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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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fragte sie, ob ich sicher sei, dass ich ihm nichts getan hätte. Und als ich schon richtig gekränkt war, klingelte es. Ich wusste, dass gleich alle kommen würden, zur Sozialkunde, und mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, Zeitungsartikel über den Helikopterunfall mitzubringen, wie Michal, unsere Klassenlehrerin, verlangt hatte. Joli schaute von mir zur Tür, sie wusste auch, dass die andern gleich kommen würden. »Als Erstes solltest du Michal bitten, dass sie alle nach deiner Schatulle fragt«, sagte sie. »Und nach der Stunde reden wir weiter. Ich habe dir auch den Brief noch nicht geschrieben.«
    Ich wartete an der Tür auf Michal. Nach der Art, wie sie mich anlächelte, war mir klar, dass sie noch nichts von meinem Malheft und meinem Ärger mit Herrn Sefardi gehört hatte. Sie war gerade erst zur Schule gekommen, das war heute ihre einzige Stunde. Ich erzählte ihr von der Schatulle. Sie runzelte die Augenbrauen und ihre Backen mit den vielen Sommersprossen wurden rund, als würde sie sie aufblasen. Ich setzte mich an meinen Platz und sie fragte alle, ob jemand aus Versehen meine Schatulle genommen oder gesehen hätte, wie ein anderer es tat. Sie beschrieb auch den schwarzen Lack und die roten Blumen. Während sie sprach, schaute ich mir meine Mitschüler genau an, aber mir fiel bei keinem etwas auf. Keiner senkte die Augen, keiner fing an, mit einem Bleistift rumzuspielen, keiner kratzte sich am Kopf. Ein paar schauten sich um und manchen sah ich an, dass es ihnen wirklich Leid tat für mich. Kein Einziger war dabei, den ich verdächtigt hätte. Michal fragte auch, ob jemand ein fremdes Kind in der Klasse gesehen hatte oder sonst einen Fremden, der in der großen Pause in die Klasse gekommen sei. Niemand hatte etwas gesehen.
    Von den gestohlenen Dingen war noch nie etwas wieder gefunden worden. Weder das Geld, das Iti für den Schulausflug mitgebracht hatte, noch Daniels schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Chicago Bulls«, noch Matans Taschenrechner oder Ronits funkelnagelneue Streifenkarte und Nurits Bibel. Es gab Gerüchte, dass man Ja’ir Malul in Verdacht hätte. Sogar sein Vater wurde in die Schule bestellt. Aber das waren Gerüchte. Als nun alle in ihren Schultaschen und unter den Bänken nachsahen, schaute ich ihnen zu, aber ich wusste von vornherein, dass sie nichts finden würden, nicht nur, weil ich immer alles in düsteren Farben sehe. Ich hatte das Gefühl, als würden meine Ohren zugehen, wie damals, als ich beim Training einen Ball an den Kopf bekam, oder wie nach langem Tauchen im Schwimmbad. Die ganze Sozialkundestunde hindurch hörte ich alles so, als wäre mein Kopf unter Wasser oder unter einer dicken Decke. Ich meldete mich kein einziges Mal. Es war mir auch egal, ob Michal mich nach den Zeitungsausschnitten fragen und feststellen würde, dass ich nichts vorbereitet hatte. Auch der Brief an meinen Englischlehrer war mir egal. Ich dachte nur an meine glänzende schwarze Schatulle. Und daran, dass jemand sie aus meiner Schultasche genommen hatte. Und an das Gesicht im Fenster. Und einmal, ziemlich lange, dachte ich auch an Joli, die versprochen hatte, nach der Stunde mit mir zu reden.
    Michal sammelte die Arbeiten über den Helikopterunfall ein. Als sie die Tür aufmachte und hinausging, sah ich Nimrod, der draußen stand und wartete. Joli hatte es auch gesehen und wurde rot. Joli wird allerdings sehr schnell rot und wegen ihrer weißen Haut fällt das auch sofort auf, aber in diesem Moment hatte ich einfach Angst, dass sie ihr Versprechen nicht halten würde. Nimrod wollte sie bestimmt nach Hause begleiten, besonders heute, wo ihr der Gips abgemacht würde.
    Ich beschloss zu verzichten und noch nicht mal was wegen des Briefs zu sagen. Doch als ich aus der Klasse ging, die Tasche nur über eine Schulter gehängt, rief Joli: »Warte, Schabi, warte doch. Warum läufst du weg?«
    Ich wollte nicht in Nimrods Gegenwart mit ihr reden, die Sache ging ihn nichts an. Ich blieb stehen und wartete, bis sie zu mir kam. Ich wollte ihr nicht zeigen, dass mich Nimrod störte. Was ging mich Nimrod an? Er hatte immer so viel zu tun mit den Jugendtreffen, die er organisierte, und ich war mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Er will unbedingt so bedeutend werden wie sein Vater. Er ist ein richtiger Streber und so groß wie einer aus der Zehnten. Und ich? Nun, ich bin einfach nur ein Junge. Ich bat Joli, niemandem etwas von Benji zu erzählen, und schaute dabei in Nimrods Richtung. Ich hoffte

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