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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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langsam, dass ich schon nicht mehr wusste, was ich machen sollte. Ich wollte, dass meine Mutter zurückkam, aber ich hatte auch Angst, sie könnte gleich kapieren, dass etwas nicht in Ordnung war. Meine Mutter hat nämlich am ganzen Körper Augen, sogar am Rücken. Genau am Ende von »Die Reichen und die Schönen«, als ich mir die Ohren zuhielt und mir der Kopf schon wehtat, kam sie nach Hause.
    Bevor sie etwas fragen konnte, sagte ich schnell, mir wär nicht gut. Sie schaute mich an, kam näher und legte mir die Hand auf die Stirn. Dann legte sie den Kopf etwas schräg und schloss die Augen, als müsse sie sich konzentrieren. Sie zog mich an sich, legte mir die Lippen auf die Stirn und sagte: »Du hast kein Fieber. Komm mit mir in die Küche. Ich muss das Essen warm machen, da kannst du mir erzählen, was dich bedrückt. Wenn man Kopfweh hat und dabei kein Fieber, ist das ein Zeichen, dass die Seele wehtut, dass etwas passiert ist.«
    Manchmal gefällt es mir, dass meine Mutter alles weiß, und manchmal finde ich es schrecklich. Denn nun musste ich ihr irgendwas erzählen und eigentlich wollte ich nicht, weder von Benji noch von Herrn Sefardi. Sie nahm Töpfe aus dem Kühlschrank und stellte sie auf das Gas, sie schnitt rote Tomaten in nicht zu große und nicht zu kleine Stücke, damit nicht zu viel Saft herauslief. Ich dachte an meine Schatulle und sagte: »Mir ist mein Stiftekasten geklaut worden.«
    Sie hörte auf zu schneiden, schaute mich an und fragte, ob ich die Schatulle mit zur Schule genommen hätte.
    Ich nickte und mein Herz wurde noch schwerer. Ich erwartete, dass sie sagen würde: Ich habe dich doch davor gewarnt, sie mitzunehmen. Aber sie sagte nur: »Vielleicht ist sie gar nicht gestohlen und du findest sie morgen. Und wenn nicht, können wir etwas Ähnliches für dich suchen. Die gleiche Schatulle werden wir wohl nicht finden, aber eine ähnliche.«
    Ich wollte ihr nicht widersprechen und nicht sagen, dass eine ähnliche nichts wert wäre, ich wollte sie auch nicht daran erinnern, wie teuer die Schatulle war und dass Benji sie aus Amerika bestellt hatte, extra für mich. Ich senkte den Kopf und schwieg, und sie meinte, es sei vielleicht an der Zeit, einmal mit der Direktorin über die Diebstähle in der Schule zu sprechen. »So kann es ja nicht weitergehen«, meinte sie. »Was ist das hier, ein Slum?«
    Ich fing an zu schreien, sie solle ja nicht mit der Direktorin sprechen, das hätte mir gerade noch gefehlt, dass sie zu ihr ging. Meine Mutter warf mir einen Blick von der Seite zu, als habe sie plötzlich noch etwas anderes verstanden, aber sie sagte kein Wort.
    Die Gasflammen brannten und man hörte es schon in den Töpfen brodeln, da sagte sie auf einmal: »Falls dich noch etwas bedrückt, Schabi, kannst du es mir ruhig erzählen, wenn du willst.«
    Ich machte schon den Mund auf, um zu beteuern, dass es nichts anderes gab, wirklich nicht, aber genau da klingelte das Telefon und ich rannte hin. Es war nicht Benji, sondern Joli. Mit leiser Stimme, die ich kaum verstand, fragte sie, ob ich noch zu ihr kommen könne oder ob es schon zu spät sei, und ich sagte schnell: »Ach was. Also bis gleich.«
    Ich war froh, dass ich zum Telefon gelaufen war und so meiner Mutter nicht zu viele Geschichten erzählen muss-te. »Ich gehe zu einem Mädchen aus meiner Klasse, wir müssen zusammen eine Hausarbeit schreiben«, sagte ich möglichst leichthin. »Und anschließend gehe ich zum Training.« Meine Mutter wollte wissen, um was für ein Mädchen es sich handelte und wo das Mädchen wohnte. Ich sagte: »Sie heißt Joli.«
    »Joli und weiter?«, fragte meine Mutter.
    »Joli Maimon«, sagte ich.
    »Joli Maimon? Ist das nicht die Tochter von Anette?«
    »Woher soll ich wissen, wie ihre Mutter heißt«, antwortete ich gereizt, denn ich mag es nicht, wenn Eltern sich einmischen.
    Meine Mutter fragte, ob diese Joli glatte, lange, schwarze Haare hätte. Dann sagte sie: »Sie ist so schön wie ihre Mutter.« Das wiederum gefiel mir.
    Plötzlich sagte ich: »Sie ist die Freundin von Nimrod.« Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen. Aber meine Mutter, die mit dem Rücken zu mir stand und grüne Zwiebeln schnitt, sagte ohne sich umzudrehen, in unserem Alter würden Freundschaften nicht ewig dauern, da gäbe es immer Veränderungen und man solle nie zu schnell aufgeben. »Du musst erst essen, Schabi, das wird dir gut tun. Dann kannst du gehen.«
    Es nützte nichts, dass ich sagte, ich hätte keinen Hunger, ich

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