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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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musste was essen. Das heißt, einen großen Teller mit Linsensuppe und eine Frikadelle. Ich tat, als würde ich essen, und als sie die Küche verließ, kippte ich alles aus, dann machte ich mich auf den Weg.

4. Kapitel

    Jolis Großvater wohnt ziemlich weit von der Schule entfernt, aber er fährt nicht nur deshalb mit dem schwarzen Käfer. Man sieht ihm an, dass es ihm Spaß macht. »Glaub ja nicht, dass er ein Autonarr ist«, hatte Joli gesagt, als er sie einmal abholte. »Er ist nicht bescheuert, im Gegenteil. Aber früher hat er schon manchmal unglaubliche Sachen gemacht.«
    Ich ging zu Fuß bis zur Chiskijahu-ha-Melech-Straße, und dort an der Ecke, wo das griechische Viertel anfängt, war das Haus, ein kleines, arabisches Haus, das wegen der neuen hohen Häuser in der Umgebung noch kleiner aussah. Es war schon fast dunkel, die Straßenlaternen brannten schon. Auch die Laterne vor dem blauen Tor, auf dem nur »Hirsch« stand, brannte und malte einen gelben, runden Fleck auf die Straße.
    Joli öffnete mir die Tür. Ich sah sofort, dass der Gips weg war. Ihre Hand war gelblich grau und sah dünner aus als die andere, als wäre sie eingetrocknet und hätte sich geschält. Ich fragte: »Hat es wehgetan, als der Gips abgenommen wurde?«
    »Überhaupt nicht«, antwortete sie. »Nur dass sie jetzt so eklig aussieht und ich keine Kraft habe, die Trompete zu halten. Es fällt mir sogar schwer, mit ihr ein Buch zu halten. Aber der Arzt meint, das wäre bald vorbei, die Muskeln bauen sich von allein wieder auf.«
    Sie rieb die Hand und machte die Tür zu. Mit glänzenden Augen sagte sie: »Komm, ich zeig dir was.« Sie führte mich zu einem kleinen Zimmer am Ende des Flurs. In dem Raum stand ein schmales Bett und ein Tisch mit einer Glasplatte, und unter dem Glas war der Vogel, den ich ihr auf den Gips gemalt hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie es geschafft hatten, den Gips so dünn zu bekommen, aber es ließ sich nicht leugnen: Er war da, der Vogel. Und unter Glas sah er noch viel Ehrfurcht gebietender aus als vorher. Nicht wie ein Stück Gips, sondern wie ein kostbares Erinnerungsstück.
    Ich schaute mich um und überlegte, ob ich etwas von dem Brief sagen sollte und wo wir uns überhaupt hinsetzen könnten, um ihn zu schreiben. Noch bevor ich was sagen konnte, hielt sie mir ein Blatt hin und sagte: »Wir haben im Krankenhaus lange warten müssen, bis ich mit dem Gips an der Reihe war. Ich hatte schon nichts mehr zu lesen, deshalb habe ich dir den Brief geschrieben.« Auf Englisch. Sie las ihn langsam vor, einen Satz nach dem andern, und ich saß am Tisch und schrieb alles noch mal. Wie eine Lehrerin beugte sie sich über mich, las alles durch und sagte: »In Ordnung, das Problem haben wir also gelöst. Und was ist mit Benji?«
    Ich starrte auf ihre Hand, die noch auf der Tischkante lag, grau und faltig, und hätte sie gern berührt, aber ich traute mich nicht. Ich berichtete ihr, wie ich auf einen Anruf von Benji gewartet hatte. Sie ging aus dem Zimmer und kam mit einem schnurlosen Telefon zurück. »Los«, sagte sie. »Probier’s noch mal.«
    Wieder war seine Mutter am Apparat, doch diesmal rief sie ihn. Nach langem Warten, als ich schon enttäuscht aufgeben wollte, hörte ich plötzlich ein leises, bedrücktes »Hallo?«. Es war die Stimme von jemand, der schlechte Nachrichten erwartet.
    »Benji«, sagte ich. »Ich bin’s, Schabi.« Und dann hörte ich gar nichts mehr, als hätte er die Hand auf den Hörer gelegt. Da saß ich, mit dem schnurlosen Telefon in der Hand, und verstand nicht, was passierte.
    »Siehst du«, sagte ich zu Joli. »Er will nicht mit mir reden, noch nicht mal am Telefon.«
    Joli streckte die Hand aus. »Gib her.« Sie rief selbst an. Wieder antwortete Benjis Mutter und rief ihn.
    »Hi, Benji, ich bin’s, Joli«, sagte sie, stockte einen Moment und fuhr fort: »Joli, du weißt doch, du hast mir auf meinen Gips geschrieben, neben Schabis Bild, erinnerst du dich nicht?« Und plötzlich hielt sie mir das Telefon ans Ohr, so dass ich hören konnte, wie Benji das englische Lied sang, das er »Kummersong« nennt.
    »Neunundneunzig Äpfel am Baum«, sang er. »Achtundneunzig Äpfel am Baum, siebenundneunzig Äpfel am Baum …« Und als nichts mehr zu hören war, lauschte Joli noch einen Moment, dann sagte sie: »Er hat aufgelegt.«
    Wir schauten uns ratlos an. »Na ja«, sagte Joli dann. »Der Mensch kann selbst bestimmen, ob er mit jemandem reden will oder nicht. Mal sehen, was morgen

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