Die schwarze Schatulle
Felafel essen, Cola trinken und gleichzeitig Benji suchen, alles auf einmal. Es passte nicht zusammen. Als wäre Benji nicht gekommen, weil Joli bei mir war. Wenn er mir wirklich wichtig ist, dachte ich, muss ich das alles allein machen.
Ich stieg den Hügel wieder hinauf und klingelte noch einmal. Keine Antwort. Nur der Hund bellte sich die Seele aus dem Leib. Ich hockte mich mit angezogenen Knien hin und wartete.
Es dauerte vielleicht eine Stunde, da hörte ich von drinnen, vom Garten, plötzlich die Sträucher rascheln. Erst dachte ich, es wäre ein Igel – Benji und ich hatten einmal einen im Garten gefunden –, aber für einen Igel war das Rascheln zu laut. So viel Lärm konnte ein Igel nicht machen, dafür war er zu leicht. Im Garten trat jemand auf Zweige. Ich spähte hinein und entdeckte Benji, der mit gesenktem Kopf herumlief. Der Hund hörte auf zu bellen. Ich beschloss, abzuwarten, was passieren würde.
Kurz darauf ging das Tor auf und Benji trat heraus. Er starrte geradeaus und bemerkte mich überhaupt nicht. In der Hand hielt er einen trockenen Zweig. Den zog er hinter sich her über den Boden und malte so Linien in den Staub. Er ging den Hügel hinab, doch nach ein paar Schritten blieb er stehen und schaute nach links und nach rechts. Die Sonne ging noch nicht wirklich unter, aber alles bekam schon einen goldenen Schein. Wieder fingen die Glocken im Kloster an zu läuten und ein kühler Wind kam von der Seite. Ich rührte mich nicht und gab keinen Ton von mir, doch Benji drehte sich plötzlich um und sah mich. Ich war sicher, er würde zu mir kommen, und lächelte ihm entgegen. Aber Benji dachte gar nicht daran zu lächeln. Er erschrak und fing plötzlich an, den Hang hinunterzurennen, er rannte, stieß gegen Steine und trat auf Disteln, ohne aufzuschauen oder anzuhalten.
Wieder verblüffte mich sein Rennen so, dass ein paar Sekunden vergingen, bevor ich mich entschloss, ihm nachzulaufen. Ich holte ihn erst unten ein und musste ihn mit Gewalt festhalten, weil er alles versuchte, um sich loszureißen. Er wehrte sich so heftig, dass ich ihn schließlich auf den Boden warf und ihm die Arme festhielt, wie man es in Filmen sieht und wie ich es beim kleinen Malul gemacht hatte. Er hatte die Fäuste fest geballt und kniff auch die Augen fest zu, als würde man ihm etwas zeigen, was er auf gar keinen Fall sehen wollte. Auf seinen Beinen, unterhalb der Knie, waren blaue Flecken zu sehen, und als ich seine Hose etwas hochschob, sah ich, dass er über dem Knie auch blaue Flecken hatte und rote Striemen und zwei Stellen, die aussahen wie Brandwunden.
»Es hilft dir nichts, Benji«, sagte ich. »Du kannst vor mir weglaufen, so lange du willst. Ich renne hinter dir her, bis ich weiß, was los ist.«
Er machte die Augen nicht auf, aber zwei Tränen liefen ihm über die Wangen und hinterließen Spuren im Staub. Noch nie hatte ich Benji weinen sehen. Seine Fäuste waren noch geballt. Aus der rechten Faust lugte der Rand von einem Stück Papier heraus. »Was hast du in der Hand«, fragte ich.
Er antwortete nicht. Er ballte die Faust nur noch fester. Ich stützte mich auf seine Beine und öffnete seine Faust, einen Finger nach dem andern, bis ich das Stück Papier hatte. Es war zusammengefaltet. Ich glättete es. Es war eine Seite aus einem Heft, auf die ein schwarzer Totenkopf gemalt war, mit weißen Löchern für die Augen. Außerdem ein Pfeil, von dem rotes Blut tropfte. Darunter stand mit roten Druckbuchstaben: »Das wird mit dir passieren, wenn du den Mund nicht hältst.«
»Wer hat das geschrieben?«
Benji gab keine Antwort.
»Wie hast du das bekommen?«
Benji schwieg.
»Das ist doch wegen dem Mörderspiel«, sagte ich. »Das ist bestimmt dein Mörder, der dir das geschickt hat.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, stimmt nicht. Das hat damit nichts zu tun. Es kam schon vorher.«
Wieder betrachtete ich den Zettel. Die Buchstaben waren in einem seltsamen Rot. Ich kannte diesen Farbton, in meiner Schatulle, die mir Benji geschenkt hatte, waren drei verschiedene Rotstifte, und einer war mit einem Goldton gemischt. Die meisten Leute denken, Rot sei einfach Rot und alle roten Töne seien gleich, aber wer mit Farben arbeitet, weiß, dass es unheimlich viele verschiedene Rots gibt, nicht nur Zinnoberrot. Zinnober ist wirklich der König aller Rottöne. Aber jeder Maler mischt sich seine Farben selbst. Die Blutstropfen auf dem Blatt und die roten Buchstaben zeigten ein goldstichiges Rot, so wie ich eines in
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