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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hab nämlich eins mit einem roten Griff, es ist schon seit Tagen verschwunden. Dieser Mistkerl … Ich werd’s ihm zeigen … Ich mach Kleinholz aus ihm …«
    Da erzählte ich ihm von meiner verschwundenen Schatulle.
    »So ein Ding habe ich nie gesehen«, sagte Malul und kratzte sich wieder am Kopf. »Aber ich krieg’s raus. Du kannst dich drauf verlassen, ich knöpfe ihn mir so vor, dass nichts von ihm übrig bleibt. Er weiß nicht, mit wem er’s zu tun hat. Diese Laus! Hat wohl geglaubt, er könnte seinen Bruder reinlegen.«
    Da kam auch schon seine Lehrerin und forderte ihn auf, in die Klasse zu gehen. »Mach dir keine Sorgen«, rief er mir noch nach, als ich schon am anderen Ende des Flurs war. »Ich krieg’s raus und sag dir morgen Bescheid.«

    Während der nächsten Stunde beschloss ich, noch einmal zu Benji hinzufahren, nach der Schule, und auf ihn zu warten, wenn er nicht zu Hause wäre. Ich musste unbedingt mit ihm reden, auch wenn er das nicht wollte. Ich stellte mir vor, wie ich ihn dazu zwingen würde. Ich würde ihn sogar mit Gewalt festhalten, wenn es nötig wäre. Ich musste einfach herausbekommen, was ich Benji getan hatte und was überhaupt mit ihm los war.
    »Willst du, dass ich mit dir komme«, fragte Joli und ich merkte, wie mein Herz plötzlich anfing zu klopfen. Ich bekam kein Wort heraus. »Wenn du willst, gehe ich mit dir«, sagte sie und mir wurde klar, dass einige Zeit vergangen war und ich nicht geantwortet hatte.
    Ich nickte, dann sagte ich: »Wenn du kannst.«
    »Mein Opa hat heute was vor«, sagte sie. »Ein früherer Arbeitskollege kommt ihn besuchen, ich habe also viel Zeit. Ich kann bis fünf wegbleiben, ohne dass er sich Sorgen macht.«
    Bei jedem Schlechten passiert auch was Gutes, sagt meine Mutter immer. Und so passierte das Gute jetzt, indem Joli mit mir ging. Leider vergaß ich darüber ganz, nach meiner schwarzen Schatulle mit den roten Blumen drauf zu suchen. Ich dachte kaum mehr an sie, ich dachte auch nicht allzu viel an das schlechte Gefühl, das ich wegen Benji hatte.
    Wir drückten ein paar Mal auf den Klingelknopf neben der Tür, aber niemand machte auf. Nur der Hund sprang gegen das Tor und bellte so heftig, dass man seine rote Zunge und die weißen Zähne sah. Joli wich zurück, ich hatte ihr nämlich schon im Bus von dem Hund erzählt. In den Pausen zwischen seinem Bellen hörten wir, wie still es in Ein-Kerem war. Wir hörten alle möglichen Insekten summen und surren, Fliegen und Bienen und Stechmücken und Schmetterlinge, und dann fingen plötzlich die Glocken an zu läuten. Joli, die sich gerade gebückt hatte, um ein paar Blumen zu pflücken, richtete sich auf und lauschte. »Sie haben einen wunderbaren Klang, nicht wahr«, sagte sie. Es war schön und alles roch so gut, dass ich ohne die Sache mit Benji und meiner verschwundenen Schatulle richtig glücklich gewesen wäre. Manchmal braucht es nicht mehr. Es reicht, wenn man mit jemandem zusammen ist, den man gern hat. Und wenn kein Erwachsener sagt, was man tun soll.
    Wir gingen ein paar Mal um das Grundstück herum und Joli sagte: »Das Haus sieht aus wie ein verwunschenes Schloss.« Hinten, auf der Rückseite, hingen die Zweige eines Baums über die Mauer. Die weißen Blüten rochen sehr gut und Joli sagte: »Schau mal, wie der Birnbaum blüht.« Ich fragte mich, woher sie wusste, dass es ein Birnbaum war, es hingen überhaupt keine Früchte dran, doch bevor ich fragen konnte, sprach sie weiter: »Das ist wie im ›Geheimnis des verschwundenen Gar-tens‹.« Und weil ich die Geschichte nicht kannte, fing sie an zu erzählen. Es war nur ein bisschen eine Mädchengeschichte, aber nicht ganz, deswegen machte es mir nichts aus zuzuhören. Wir setzten uns eine Weile hin und warteten, dann gingen wir wieder zum Tor und klingelten noch einmal. Wieder machte niemand auf.
    »Komm, Schabi, wir gehen«, sagte Joli und schlug vor, wir sollten einen Spaziergang zur Quelle machen und dort am Felafel-Kiosk was essen und trinken, bevor wir es noch mal probierten.
    Am Anfang wollte ich nicht. Erstens hatte ich kein Geld und außerdem hatte ich Angst, dass Benji ausgerechnet in dieser Zeit kommen könnte, und dann würden wir ihn verpassen. So ist es ja immer in solchen Situationen. Aber Joli sagte: »Es dauert doch nicht lange. Und selbst wenn er in der Zeit heimkommt, kann er uns ja nachher aufmachen.«
    Wir liefen los. Ich hatte kein Geld und genierte mich, es Joli zu sagen. Ich hatte mir so oft vorgestellt, wie es

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