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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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meiner Schatulle gehabt hatte.
    Ich lockerte meinen Griff ein wenig und sagte: »Und jetzt erzählst du mir, was passiert ist. Du weißt, dass dir nichts hilft. Hast du etwa kein Vertrauen zu mir?«
    Er schüttelte jetzt mit aller Kraft den Kopf.
    »Warum willst du es mir nicht sagen?«
    Er machte die Augen auf und ich sah, dass da noch viele Tränen saßen. Sein Gesicht hatte einen verschreckten Ausdruck, seine Lippen zitterten.
    »Was ist das?« Ich deutete auf seine Beine. »Wer hat das gemacht?«
    »Denk selber nach«, sagte er mit einer völlig erstickten Stimme und dann fing er an zu weinen.
    Ich ließ seine Beine los, aber er bewegte sich nicht. Er blieb auf dem Boden liegen, wie einer, der schon aufgegeben hat.
    »Woher soll ich das wissen?«, fragte ich. »Weiß ich etwa alles?«
    Benji schaute mich an. Trotz der Tränen konnte ich den Hass in seinen Augen sehen, großen Hass.
    »Hab ich dir was getan«, fragte ich. »Sag’s doch, bitte. Ich weiß nicht, was ich dir getan habe, ich weiß überhaupt nichts … «
    Plötzlich setzte er sich auf, mit einem Ruck, als wäre er kein dicker, verträumter Junge. »Ich will nie mehr mit dir reden«, sagte er weinend.
    »Aber warum? Sag mir wenigstens, warum.«
    »Das weißt du. Nur du hast das verraten können. Niemand sonst. Du bist einfach ein Traitor.«
    Das Wort musste Englisch sein, ich verstand es nicht. Traitor. Er hatte es mit diesem amerikanischen Akzent gesagt, den er eigentlich kaum mehr hat, seit er Hebräisch spricht. »Was heißt das«, fragte ich. »Ich kenne das Wort nicht. Und was soll ich verraten haben? Ich habe niemandem etwas verraten, nichts …«
    Er sprang auf. »Lass mich in Ruhe, hörst du? Hau ab und komm nie wieder her. Ich rede nicht mehr mit dir.«
    Er begann, zum Haus hinaufzurennen, und bevor ich ihn erwischen konnte, machte er das Tor auf. Bis ich oben ankam, war er schon drinnen, und der Hund bellte wie blöd. Wenn er nur gekonnt hätte, der Hund, hätte er mich auf der Stelle zerfleischt.
    Ein paar Minuten blieb ich vor dem Tor stehen, dann ging ich langsam den Hügel hinunter. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich wusste, dass er mir nicht aufmachen würde.
    Im Bus, als ich das Bellen schon vergaß, tat er mir Leid. Ich dachte daran, dass seine Mutter manchmal spät nach Hause kam, und dann war er ganz allein im Haus, auch wenn es dunkel wurde. Er tat mir Leid, ja, aber ich war auch schrecklich wütend. Ich verstand einfach nicht, was ich ihm getan haben sollte. Am Morgen, in der Schule, wenn er nicht weglaufen konnte, würde ich vielleicht noch einmal mit ihm reden können.

5. Kapitel

    Am nächsten Morgen wachte ich spät auf und kam erst eine Minute nach dem Klingeln in der Schule an. Auf dem Platz vor dem Tor stand ein Streifenwagen und ein Polizist und eine Polizistin redeten in ein Funkgerät. Um das Auto herum standen viele Kinder, die drängelten und stießen, bis die Polizistin schrie: »Kinder, geht in eure Klassen.«
    Im ersten Moment erschrak ich sehr. Ich war sicher, es hatte was mit Benji zu tun. »Was ist passiert«, fragte ich und ein kleines Mädchen, vielleicht aus der ersten oder zweiten Klasse, antwortete: »Weißt du das nicht? In Esthers Kiosk ist wieder eingebrochen worden.«
    Nach ein paar Minuten sah ich den Vater von Ja’ir Ma-lul mit einem Polizisten diskutieren und beide gingen zum Schulhof. Dann kam die Direktorin aus der Schule und brüllte, alle Kinder sollten sofort in ihre Klassen gehen, der Unterricht hätte bereits angefangen. »Sofort und auf der Stelle!«
    Ich schaffte es also nicht mehr, in Benjis Klasse auf der anderen Seite des Hofs zu gehen. Ich war noch immer ziemlich gereizt wegen dem Abend vorher, denn als ich nach Hause gekommen war, hatte es Krach gegeben. Meine Mutter war wütend und schimpfte: »Ich habe nicht gewusst, was ich denken sollte. Wie stellst du dir das eigentlich vor, dass ich hier hocke und bald verrückt werde vor Sorgen und du treibst dich herum, als wäre das nichts?«
    Es stellte sich heraus, dass Jo’el, der Trainer, nach mir gesucht und die Nachricht hinterlassen hatte, ihn dringend anzurufen, deshalb hatte sie gewusst, dass ich gar nicht beim Training gewesen war. »Fängst du an, mich zu belügen«, fragte sie, aber das war keine wirkliche Frage, eher eine Feststellung und sogar ohne Vorwurf, sie hörte sich nur traurig an. Ich fühlte mich ziemlich mies. Ich hasse es, wenn sie wütend auf mich ist, aber noch mehr hasse ich es, wenn sie meinetwegen traurig

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