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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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ist. Auch als ich ins Bett ging, nachdem wir über andere Dinge geredet hatten, sah sie immer noch traurig aus. Ich fühlte mich auch mies, weil ich Jo’el vergessen hatte. Ich hatte mich nicht erkundigt, wie es ihm nach der Knieoperation ging. Einige aus unserem Team hatten gesagt, dass ihn bestimmt jemand von unseren Gegnern verwünscht hätte, vielleicht sogar jemand, den er aus der Mannschaft geworfen hatte. Aber Jo’el hatte gesagt, das sei Blödsinn, ihm sei einfach eine Sehne am Knie gerissen, bei Basketballspielern passiere das manchmal. Ich weiß nicht, ob ihn jemand verwünscht hat, ich weiß noch nicht mal, ob ich an so was wie den bösen Blick glaube, und ganz bestimmt habe ich keine Angst davor. Höchstens vor dem bösen Blick von Esther vom Kiosk, die hat manchmal wirklich einen bösen Blick. Hass kann einen so treffen wie ein Stein. Liebe trifft einen nicht, Liebe entdeckt man so, wie man plötzlich mitten in einem Krapfen auf süße Marmelade trifft.
    Ich war ohne Hausaufgaben in die Schule gekommen, ich hatte weder Zeit noch Nerven für Hausaufgaben gehabt. Noch nicht mal für Mathematik hatte ich was getan. Als ich abends nach Hause gekommen war und meine Großmutter gesehen hatte – sie saß auf ihrem üblichen Platz auf dem Sofa vor dem Fernseher, mit offenem Mund und geschlossenen Augen –, hatte ich plötzlich eine solche Verzweiflung gespürt, als wäre alles verloren. Der Fernseher dröhnte. Ich stand einen Moment da und betrachtete eine Blondine in einem silbern glitzernden Kleid, die sich mit einem Mann in einem Anzug unterhielt. Er stand mit dem Rücken zu ihr vor einem großen Spiegel, rückte seine Krawatte zurecht und strich sich die glänzenden schwarzen Haare zurück, die ohnehin sehr, sehr ordentlich gekämmt waren. Die Frau sagte zu ihm: »Du warst nicht aufrichtig zu mir, leugne es nicht. Wenn du mir wenigstens jetzt die Wahrheit sagen würdest, dann verspreche ich dir, dass es wunderbar wird und wir auf ewig zusammenbleiben. Du musst mir nur sagen, ob du mit Sheila geschlafen hast oder nicht.«
    Ich schaute vom Bildschirm zu meiner Großmutter und verstand einfach nicht, wie man so etwas versprechen konnte. Wie konnte die Frau wissen, ob das, was sie jetzt fühlte, bis an ihr Lebensende anhalten würde? Manchmal weiß man doch schon nicht, was am nächsten Morgen sein wird. Ich ärgerte mich über meine Großmutter, die den ganzen Tag solches Zeug anschaut und sogar noch glaubt, was diese Leute sagen. Ich hatte das Gefühl, mit der ganzen Welt Streit zu haben. Mit Benji, mit meiner Mutter, mit Jo’el, dem Trainer, und mit meiner Großmutter. Mit wem eigentlich nicht? Sogar mit den Leuten im Fernsehen. Nur mit meinem Vater nicht, aber mit dem kann man ja auch keinen Streit haben. Manchmal lächelt er mich müde von seinem Sessel in der Ecke aus an, aber gestern Abend hatte er mich noch nicht mal müde angelächelt, er hatte überhaupt nicht gemerkt, dass ich da war.

    Meine Mutter sagt immer – nein, eigentlich nicht meine Mutter, sondern Oma Masal, ihre Mutter –, dass, um gut zu schlafen, zwei Dinge wichtig sind: Erstens darf man nicht mit leerem Magen ins Bett gehen, denn wenn man mit leerem Magen schläft, macht sich die Seele bei den Kochtöpfen auf die Suche, und zweitens darf man keine offene Rechnung mit einem anderen Menschen haben. »Offene Rechnung« bedeutet, wie ich es verstanden habe, ein nicht gelöster Streit. Ich war nicht hungrig ins Bett gegangen, ich hatte etliche Scheiben Brot, Rührei und Salat gegessen, aber ich hatte einen ungelösten Streit. Nicht nur mit meiner Mutter, sondern auch mit Benji und diesem Unbekannten, der meine schwarze Schatulle geklaut hatte.
    Ich konnte nicht mit meiner Mutter über Benji sprechen. Nicht nur, weil ich sie traurig gemacht hatte, sondern weil ich wusste, dass sie mir nicht erlauben würde, mich selbst darum zu kümmern. Sie würde mich zwingen, die ganze Sache der Erziehungsberaterin oder der Direktorin zu erzählen. Ich konnte sie schon sagen hören: »Die wirst du wenigstens nicht anlügen.« Und ich konnte mir ihren traurigen Blick vorstellen, als würde sie nichts mehr von mir erwarten. Ich konnte sie noch nicht einmal fragen, was ein »traitor« ist, denn dann hätte sie wissen wollen, wie ich auf diese Frage komme.
    Ich nahm mein Wörterbuch und blätterte lange, bis ich »traitor« fand. Es heißt »Verräter«. Ich und ein Verräter?
    Nie hatte ich irgendwen verraten. Wie hätte ich Benji verraten können? Bei

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