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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gehen.«
    Ich fragte, was wäre, wenn dem Ball etwas passieren würde, wenn er zum Beispiel bei unserem Unternehmen verloren ginge.
    »Wir könnten ihn im Versteck lassen«, sagte Uri und betrachtete den Ball, als wäre er ein Schatz. Er hatte ja tatsächlich viel gekostet. »Niemand kennt es.«
    Das Versteck war unser Geheimplatz noch aus der Kindergartenzeit und es war so gut, dass wir nicht drauf verzichten wollten, auch als wir größer wurden. Es war kein normales Versteck in einem Luftschutzkeller oder in einem Baum, es war ein großes Loch im Hof eines Hauses, das nie fertig gebaut worden war. Vor unserer Geburt war es angefangen worden und noch immer stand es unfertig da. Die Leute sagen, es gehöre jemandem, der Pleite gegangen sei und das Land verlassen habe. Als wir klein waren, wussten wir nicht, was das heißt, Pleite gehen und das Land verlassen, aber wir verstanden, dass es etwas Schlimmes sein musste. Das Haus bestand aus nackten Wänden, die schon anfingen zu bröckeln. Wir wussten alle, dass sich dort alle möglichen Drogenabhängigen und Gangster herumtrieben und dass dort Dinge passierten, von denen wir nichts erfahren durften. »Es gibt Dinge, die sind noch nichts für dein Alter«, sagt meine Mutter immer, und Michal, unsere Klassenlehrerin, sagt: »Wenn ihr größer seid, werdet ihr es verstehen.« Solche Sprüche machen mich ganz verrückt. Von all den Gedichten, die wir im Literaturunterricht gelernt haben, erinnere ich mich nur an eine Zeile: »Für das Leben gibt es keine Anfängerklassen.« Aber ausgerechnet auf diese Zeile ging die Lehrerin nicht ein.
    Wir waren schon sehr lange nicht mehr beim Versteck gewesen. Das letzte Mal, als wir noch in der Siebten waren, fanden wir dort Kondome und Spritzen und Uri erschrak fürchterlich. Ich erschrak nicht. Ich ekelte mich, das schon, obwohl ich ein Junge bin. Es gibt Dinge, die finden auch Jungen eklig. Aber jetzt hatten wir keine Wahl, denn mit dem Basketball konnten wir unmöglich zu Benji fahren. Wir liefen schnell bis zum Rand des Viertels, so schnell, dass Uri den Ball nicht ein einziges Mal aufspringen ließ. Erst als wir in die Nähe des verlassenen Hauses kamen, schaute ich mich um. Auch Uri drehte den Kopf. Eine Gruppe Kinder war uns gefolgt und blieb plötzlich stehen. An der Spitze ging Streichholz Malul, gebückt und mit vorgeschobenen Fäusten, als hätte er keine Angst vor mir. Ich hielt Uri mit der Hand zurück und sagte zu den andern, sie sollten abhauen. Genau genommen schrie ich es, damit sie aufhörten, uns nachzulaufen.
    »Warum denn«, fragte Streichholz. »Weinst du dich sonst wieder bei meinem Bruder aus, du Baby?«
    Ich hörte, dass Uri schneller atmete, wie immer, wenn er unter Druck ist, und ich hatte Angst, er würde anfangen zu hüpfen und alle Sachen zweimal sagen.
    »Los, verschwindet«, sagte ich ganz ruhig. Ich hatte überhaupt keine Angst, sie waren wirklich kleiner als wir, aber ich wollte keine Zeit verlieren.
    »Das ist nicht das Grundstück von deinem Papa«, sagte Streichholz. »Hier darf jeder gehen und stehen, wo und wie er will.«
    Ich merkte, dass Uri noch nervöser wurde, auch wegen mir, weil Streichholz Malul meinen Vater erwähnt hatte. Aber Streichholz wechselte das Thema. Er sagte nur, wir hätten ihnen nichts vorzuschreiben und sie würden uns folgen, egal wohin wir gingen, sie würden uns schon zeigen, von wo der Fisch pisst. Sie waren zu fünft. Fünf kleine Sechstklässler, aber einer von ihnen war schon ziemlich groß, und fünf auf einmal hätte ich sowieso nicht geschafft. Wer war ich denn? Und auf Uri konnte man sich nicht verlassen, der flippte gleich aus.
    »Was für einen Preis gibt es denn für deine Schatulle?«, sagte Streichholz herausfordernd. »Ich hab gehört, man kriegt einen Preis. Sag, was es ist, dann geb ich sie dir vielleicht.«
    Ich antwortete nicht. Ich glaubte nicht, dass er meine schwarze Schatulle geklaut hatte, und wenn, würde ich sie sowieso nur zurückbekommen, wenn sein Bruder sie von ihm verlangte. Ich wusste auch, dass es sich nicht lohnte, Zeit wegen meiner Ehre zu vergeuden, und dass es wichtig war, so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. Ich gab Uri ein Zeichen, und statt weiterzugehen zum Versteck, liefen wir zurück zur Hauptstraße, Richtung Bus. Maluls Clique folgte uns. Sie hielten immer denselben Abstand, Streichholz lief an ihrer Spitze und gackerte wie ein Huhn, um zu zeigen, was für Angst wir hätten.
    »Wie geht es weiter«,

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