Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
nicht durcheinander zu bringen.
    Ich hatte Uri noch nichts versprochen, wir standen nur da und ich dachte nach. Und genau in dem Moment sah ich Nimrod, der mit einem Stapel Papier aus seiner Klasse kam. Die Papiere sahen aus wie Formulare und seinem Gesicht war anzusehen, dass er wieder einmal etwas organisierte. Er hielt den Kopf hoch und ging mit langen Schritten in die Richtung vom Zimmer der Direktorin. Bestimmt würde er bald durch die Klassen gehen und irgendein neues Treffen zwischen dieser Jugend und jener Jugend ankündigen und sich so wichtig fühlen wie sein Vater.
    Ich schaute auf die Uhr. Wir hatten nur noch eine Stunde, Literatur. Das Fach kann ich nicht ausstehen, besonders nicht, wenn wir Gedichte lernen müssen. Nicht weil das was für Mädchen ist, sogar wenn es nichts für Mädchen gewesen wäre. Geschichten von mir aus, da passiert wenigstens was, aber was passiert in Gedichten? Nichts. »Gut«, sagte ich zu Uri, »schwänzen wir Literatur. Aber zuerst gehen wir nach Hause und essen was.«
    »Wir sagen, wir gehen zum Basketball, wir sagen, wir gehen zum Basketball«, rief Uri und fing an zu hüpfen. Ich stimmte zu. Was hätte ich auch sonst tun können?
    Wir verließen die Schule. An Esthers Kiosk blieb Uri stehen und sagte: »Warte einen Moment, ich verdurste.« Der Kiosk war offen, als wäre nicht eingebrochen worden, aber nicht weit entfernt stand ein Polizist. Uri kaufte einen Saft, stieß den Strohhalm hinein und es spritzte ein bisschen. Esther schaute ihn an. Ihre Hornhautschwellung sah größer aus, so als wäre sie gewachsen, und war derart hässlich, dass ich den Blick abwenden musste.
    »Wo ist eigentlich dein Freund, der kleine Dicke«, fragte Esther. »Er ist nicht in die Schule gekommen, ist er krank?«
    Ich machte eine unklare Kopfbewegung.
    »Krank vor Angst«, sagte Esther und plötzlich hatte sie das Gesicht einer Hexe.
    »Wieso? Vor wem soll er denn Angst haben«, fragte ich gereizt, als wäre sie schuld an allem.
    »Ein Messer, das ist nicht gut«, sagte Esther. »Man muss es der Direktorin sagen.«
    Ich tat, als hätte ich nichts gehört, ich schaute einfach vor mich hin und machte ein gleichgültiges Gesicht. Obwohl ich nur zu gern gewusst hätte, was für ein Messer sie meinte. Aber ich wusste, dass sie mir nichts sagen würde, denn so redet sie immer in Andeutungen, in Rätseln, als wäre sie eine Hexe. Uri hatte inzwischen ausgetrunken und stellte die leere Tüte auf die Theke.
    »Kommt her«, schrie sie uns nach. Aber wir taten, als hätten wir nichts gehört, und gingen weiter.

6. Kapitel

    Kurz vor vier hörte ich ein Klopfen an der Tür. Ich wuss-te, dass Uri zu früh gekommen war. Immer kommt er vor lauter Aufregung zu früh. Ich rannte zur Tür, um ihm vor meiner Mutter zu öffnen, damit sie nicht anfing, ihn alles Mögliche zu fragen. Wie es ihm geht und wie es seiner kleinen Schwester geht. Denn wenn er so funkelnde Augen hat, sagt er leicht Dinge, die er gar nicht hatte sagen wollen und besser auch nicht gesagt hätte. Ich setzte mein beschäftigtes Gesicht auf, zum Zeichen, dass man mich nichts mehr fragen durfte, weil ich es eilig hatte. Ich machte meinen kleinen Rucksack zu, den ich immer zum Training mitnehme und in den ich eine Flasche Mineralwasser gepackt hatte, ein paar Äpfel und eine Tafel Schokolade als Energiespender, und sagte laut: »Wir gehen zum Training.«
    Meine Mutter rief uns aus der Küche nach, ich sollte nicht zu spät heimkommen, ich hätte noch keine Hausaufgaben gemacht. Um nicht zu viel zu lügen, gab ich keine Antwort.
    Ich drehte mich um, um die Tür zuzumachen, und sah plötzlich, dass mein Vater mich anschaute. Aber nicht so, wie er es seit dem Unglück sonst immer tat, sondern als würde er mich wirklich sehen und als würde er auch an etwas denken, was mit mir zu tun hatte. Ich blieb an der Tür stehen und wartete, dass er etwas sagte, so lange hatte ich schon nicht mehr gehört, dass er etwas zu mir gesagt hatte. Ein Wort nur. Ich wartete, aber er wendete den Blick ab, als bereue er, mich angeschaut zu haben. Vielleicht hatte ich mir auch nur eingebildet, dass er den Kopf gedreht hatte, vielleicht hatte ihn nur die Sonne geblendet. Als wir aus dem Haus waren, fragte ich Uri, was wir mit dem Ball anfangen sollten, den er mitgebracht hatte. Es war ein Ball mit den Autogrammen der U.B.I.
    »Was hätte ich denn tun sollen«, protestierte er und ließ den Ball aufspringen. »Ich habe zu Hause gesagt, wir würden zum Basketballspielen

Weitere Kostenlose Bücher