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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Treppe und einen Teil der Klostermauer sehen.
    Wir gingen die Straße hinunter zur Quelle, dann stiegen wir die Treppe hinauf, die zum Kloster führte. Plötzlich hörten wir hinter uns lautes Schreien und Pfiffe. Wir drehten uns um und weit, weit weg, an der Kreuzung der Hauptstraße und der Ortsstraße, sah ich einige Kinder, die mit Stöcken fuchtelten und schrien.
    »He«, sagte Uri mit einer plötzlich heiser gewordenen Stimme. »Das sind doch nicht die von vorhin, mit dem Bruder von Ja’ir Malul, oder?«
    »Wieso denn«, sagte ich abfällig. »Wie hätten sie hierher kommen sollen? Sie haben doch keine Ahnung, wo wir hingefahren sind.«
    »Schau genau hin«, sagte Uri. Fünf Kinder und davor ein kleiner, dünner, dunkler Typ, der tatsächlich Streichholz hätte sein können. Ich verstand es nicht. Ich verstand nicht, wie sie, nachdem ich sie so geschickt abgehängt hatte, hierher gekommen sein konnten.
    War es vielleicht Zufall und hatte nichts mit uns zu tun? Oder waren sie es, die Benji quälten? Dachte er ihretwegen, ich hätte ihn betrogen? Ich wartete, dass sie näher kamen. Sie gingen schnell, aber nicht zu schnell. Sie hatten es nicht sehr eilig. Als sie auf halbem Weg waren, war ich mir bereits sicher, dass Uri Recht hatte. Der kleine Dünne, der einen langen Stock über die Straße zog, war Streichholz Malul.
    Ich drehte mich um, weil ich Uri sagen wollte, dass er Recht hatte, als ich plötzlich aus den Augenwinkeln jemand schwerfällig die Steintreppe am Kloster hinaufsteigen sah. Und seine Schuhe, grüne Allstars, kamen mir sehr bekannt vor.
    »Benji«, schrie ich. »Warte einen Moment!« Ich rannte hinter ihm her die Stufen hinauf. Niemand antwortete mir, aber von der anderen Seite, von der hinteren Klostermauer, hörte ich eine Stimme, die ich zwar kannte, aber nicht einordnen konnte. Ich wusste nur, dass der Sprecher mir nicht fremd war. Es war nicht Benjis Stimme, sondern die eines andern, der mit ihm sprach. Nein, er sprach nicht, er brüllte: »Komm schon rauf, du Fettsack, auf was wartest du?«
    Auf einmal war mir Streichholz Malul piepegal, ich wollte nur Benji erwischen und sehen, mit wem er zusammen war, um endlich zu begreifen, was mit ihm los war. Aber als ich die oberste Stufe erreicht hatte, war niemand mehr zu sehen. Keine Menschenseele. Als hätte ich alles nur geträumt. Ich stand da, schaute immer wieder nach rechts und links und wartete auf Uri. »Sag mal«, fragte ich, »es stimmt doch, dass da jemand gerannt ist, oder habe ich mir das nur eingebildet?«
    »Ich hab nicht wirklich was gesehen«, sagte Uri.
    »Was heißt nicht wirklich«, fragte ich gereizt. Was sollte das sein, nicht wirklich? Entweder man sieht was oder man sieht nichts.
    »Nicht wirklich jemand, nur als ob jemand rennt.« Uri rollte den Ball in den Händen.
    »Das heißt, da war was?«
    »Ich glaube«, sagte Uri. »Und danach habe ich eine Stimme gehört, die geschrien hat, komm schon rauf, du Fettsack. Hast du das auch gehört?«
    Das wenigstens hatte er gehört. Ich rief noch ein paar Mal Benjis Namen, aber von oben kam keine Antwort, nicht aus der Richtung des Klosters und auch nicht von der Straße, die zur Hauptstraße führte. Nur von unten, nahe der Treppe, waren Stimmen zu hören. Das war Streichholz Maluls Clique. Im Takt des Kinderlieds »Be-rele, Berele, komm heraus« schrien sie: »Benjile, Benjile, komm zu Schabi, Papa und Mama, die warten auf dich, Papa mit dem Stock, Mama mit dem Rock …«
    Selbst wenn Benji in der Nähe ist, dachte ich, wird er weder herauskommen noch mir Antwort geben bei diesem blöden Geschrei. Plötzlich fühlte ich mich müde. Es tat mir Leid, dass ich nicht mit Joli hergekommen war. Da hätte mich die Malul-Clique nie gefunden. Und selbst wenn, dann hätten sie sich anders verhalten. Ich auch. Jetzt wollte ich jedenfalls nichts anderes als mich auf die oberste Stufe setzen und ausruhen. Vielleicht war die Traurigkeit von vorhin, als Uri meinen Vater erwähnte, schuld an meiner Müdigkeit. So ist das manchmal, man wird nicht nur vom Rennen müde.
    Aber dann setzte ich mich doch nicht auf die Treppe, ich vergaß meine Müdigkeit und sprang auf die Steinmauer. Ich hielt mich am Rand fest und schaute hinüber, was auf der anderen Seite war, in dem Garten, der zum Kloster und zur Kirche gehörte. Ich sah viele Bäume, die sehr dicht standen, und auf einer Bank ein paar Nonnen. »Komm, gehen wir rein«, sagte ich zu Uri.
    »Wie«, fragte er erschrocken.
    »Bestimmt gibt es da

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