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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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gute Nacht. An Benji dachte ich nur ab und zu, vor allem während des Bibelunterrichts, den ich nicht leiden kann. Nicht nur, dass das alles vor so langer Zeit passiert ist, es wird auch alles mit solchen Worten erzählt, die heute kein Mensch mehr sagt. Und wofür? Dass wir in Gottes Augen Gutes tun? Gutes kann man auch so tun, man kann sich wenigstens darum bemühen. Je länger ich überlegte, umso sicherer war ich, dass ich Benji gesehen hatte, wie er zur hinteren Mauer des Klosters ging. Und dann überlegte ich, wem die Stimme gehört hatte, die ihn zur Eile angetrieben hatte, aber es fiel mir nicht ein.
    Als es nach der sechsten Stunde klingelte, wollte ich nicht, dass es so aussah, als würde ich warten. Vielleicht bereute Joli ihren Vorschlag ja schon? Mädchen bereuen immer alles, jedenfalls ändern sie ständig ihre Meinung. Abgesehen davon, dass sie beleidigt war, weil ich gestern nicht auf sie gewartet hatte. Ich packte sehr, sehr langsam meine Sachen ein und tat, als würde ich was in meinem Fach suchen. Ich wollte, dass sie zu mir kam, und sie kam tatsächlich.
    Sie sah sehr ernst aus, als sie sagte: »Hör mal, Schabi, wir müssen einen Erwachsenen hinzuziehen, so kann es nicht weitergehen …«
    Ich unterbrach sie mitten im Satz und sagte böse: »Ich zieh niemanden hinzu, weder Tamar noch Benjis Klassenlehrerin. Erstens verstehen sie nichts und wissen nie einen brauchbaren Rat und zweitens kann ich gut drauf verzichten, dass Benji mich danach zu Recht Verräter nennen kann.« Ich war enttäuscht von ihr. Außerdem fürchtete ich, sie hätte Nimrod etwas erzählt.
    »Einen Moment«, sagte Joli. »Ich habe niemanden aus der Schule gemeint. Jemand andern.«
    »Wen denn, wenn nicht aus der Schule?« Ich merkte selbst, wie wütend meine Stimme klang. »Was für Erwachsene gibt’s denn sonst noch? Vielleicht meine Mutter? Kommt nicht in Frage.«
    »Mein Großvater …«, fing Joli an, aber wieder unterbrach ich sie.
    »Auf gar keinen Fall, dein Großvater kommt überhaupt nicht in Frage. Er ist zu alt.«
    Joli wurde rot und ich wusste, dass sie jetzt böse war. »Du kennst ihn überhaupt nicht«, fuhr sie mich an. »Mein Großvater ist nicht wie andere Großväter. Er ist ein ganz besonderer Mensch. Er ist der klügste Mann, den ich kenne, und er versteht was von solchen Dingen.«
    »Von was für Dingen?«
    »Von solchen rätselmäßigen Dingen«, sagte Joli (manchmal erfindet sie Wörter wie meine Mutter). »Er hat viele Jahre als hoher Untersuchungsbeamter bei der Polizei gearbeitet.«
    Ich erschrak. »Dann wird er doch mit Benjis Geschichte zur Polizei gehen, oder?«
    »Nein«, sagte Joli und fing an zu lächeln. »Nicht hier bei der Polizei, bei der schottischen, in Glasgow. Von dort ist er vor ein paar Jahren nach Israel gekommen. Er ist jetzt pensioniert und berät nur manchmal. Er ist ein richtiger Berater, nicht wie Tamar, die Erziehungsberaterin. Und außerdem ist er überhaupt ganz anders! Er würde nie jemandem ein Wort sagen, wenn wir das nicht wollen.« Ich fragte, ob sie wirklich absolut sicher sei, dass er niemandem was verraten würde, und sie sagte ja, eine-Million-prozentig, und sie würde bei allem, was ich wolle, einen Eid dafür ablegen. Ich dachte lange nach und schließlich sagte ich: »Also gut, und wie können wir mit deinem Großvater reden?«
    »Ganz einfach«, sagte Joli. »Komm mit. Beim Mittagessen können wir es ihm erzählen.«
    Eigentlich hätte ich mich freuen müssen, denn so würde ich wieder zu Joli nach Hause kommen, aber so einfach war es nicht, ich hatte mich schon mit Jo’el verabredet. Er wollte mit mir über das Trainingslager sprechen, das in den Pessachferien stattfinden sollte.
    Außerdem wollte ich nach Hause. Ich hatte die Nase voll, dass meine Mutter dauernd sauer auf mich war. Ich dachte daran, wie sie sich vorgestern über mich geärgert hatte und wie traurig sie gewesen war. Auf der anderen Seite sagte sie immer, wenn ich vorher Bescheid sagte, hätte sie nichts dagegen, dass ich manchmal später käme.
    Vielleicht ist sie ja wirklich anders als die meisten Erwachsenen, die nicht wirklich meinen, was sie sagen, überlegte ich. Und dann sagte ich zu Joli: »Einverstanden, aber ich muss erst meine Mutter bei der Arbeit anrufen und ihr Bescheid sagen.«
    Wir verließen die Schule. Auf dem Weg zur Telefonzelle kamen wir an Esthers Kiosk vorbei. Sie saß hinter ihrer Theke, hatte den Kopf auf die Hand gestützt und schaute uns von drinnen entgegen. Als wir

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