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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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macht sie allein, nicht nur die Glühbirnen auswechseln, alles.
    Aber ich konnte Joli nicht fragen, ob es das war, wovor sie Angst hatte. Und sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen, sagte: »Erzähl es niemandem, es ist ja noch gar nicht sicher. Noch nicht mal seine Eltern wissen was davon. Ein Sohn, der Model wird, ist das Letzte, was sie wollen. Nur ihre Karriere ist ihnen wichtig.«
    Wieder versprach ich, nichts weiterzusagen. Ich wollte wissen, ob sie wenigstens ein bisschen stolz auf Nimrod war, aber ich brachte die Frage nicht heraus. Ich merkte nur, dass sie sich bei der ganzen Sache unbehaglich fühlte. Mir blieb aber keine Zeit mehr, denn wir waren angekommen. Sie machte das Tor auf und ging vor mir her den Pfad zum Haus.

8. Kapitel

    Obwohl ich schon vorgestern in diesem Haus gewesen war, betrachtete ich es, als wär es jetzt das allererste Mal. Ich ging hinter Joli den Pfad zwischen wilden Sträuchern entlang. Weiter hinten, am Zaun, standen hohe Zypressen, die wegen ihrer dunklen Farbe sehr alt aussahen. Am meisten interessierte mich ein Feigenbaum mit sehr kleinen Früchten. Ich hätte ihn mir gern aus der Nähe angeschaut. Wenn ich Zeit hätte, würde ich ihn zeichnen, dachte ich. Mit Kohle, nicht mit Farben. Vor allem seinen Stamm, der sich nach allen Seiten wand und drehte und aussah wie ein krummer alter Riese, der runzlige Hände zum Himmel streckt. Ich hätte ihn mit Kohle gezeichnet, wenn man mir nicht meine Schatulle geklaut hätte. Kohle passte am besten für diesen Baum.
    Auch das Gesicht von Jolis Großvater sah alt aus. Er machte uns genau in dem Moment die Tür auf, als Joli die Hand auf die Klinke legte und sich umdrehte, um mir etwas zu sagen. Sein Gesicht war voller Falten und seine Haare waren ganz weiß. Er war mager und nicht sehr groß, mit ziemlich nach vorn gebeugten Schultern. Nur seine Augen, hellblau wie der Himmel, sahen überhaupt nicht alt aus. Er schaute ein paar Mal von Joli zu mir, bis sein Blick an mir hängen blieb. Nachdem er sich die Hände an einer großen Schürze abgewischt hatte, sagte er: »Hello, sweetheart«, küsste Joli auf beide Wangen und auf den Mund und dann schaute er wieder zu mir.
    Joli sagte: »Opa, das ist Schabi, er ist ein Klassenfreund von mir. Er isst heute mit uns. Und küss ihn nicht, er ist schüchtern.« Sie drehte sich zu mir. »Und du erschrick nicht, mein Opa ist ein Küsser, er küsst alle, Mädchen und Jungen. Und du kannst Hebräisch mit ihm sprechen. Manchmal antwortet er auf Englisch oder Jiddisch, dann übersetz ich es für dich.«
    »Schabi«, fragte er. »Was ist das für ein Name? Wo er kommt her?«
    »Von Schabtai«, sagte ich leise.
    »Opa, das ist Schabi, der das Vogelbild auf meinen Gips gemalt hat«, sagte Joli und zog ihn ins Haus. Ich ging hinterher.
    »Den Vogel, soso«, sagte er. »You are an artist, a real artist.«
    »Er sagt, du bist ein richtiger Künstler«, übersetzte Joli.
    »And very talented.«
    »Und sehr begabt«, sagte Joli.
    »Also, Schabi, du sprichst Jiddisch?«, fragte er plötzlich auf Hebräisch mit einem sehr starken »r«, und eigentlich klang es nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung.
    »Nein, wieso denn«, antwortete Joli für mich. »Opa, wie oft soll ich dir noch sagen, dass es außer mir auf der ganzen Welt kein Kind gibt, das Jiddisch spricht?« Joli ging zum Gasherd, hob von den beiden Töpfen die Deckel und schaute hinein.
    »In Mea Sche’arim es gibt eine Million Kinder, die sprechen Jiddisch«, sagte ihr Großvater und zwickte sie in die Wange. »Sie kein Hebräisch können. Was sagst du dazu, he?«
    »Ich sage, dass wir hier nicht in Mea Sche’arim sind«, antwortete Joli und rührte in den Töpfen. »Heute essen wir italienisch«, verkündete sie vergnügt. Sie zog mit den Fingern ein paar Spagetti aus dem einen Topf und warf sie an die Wand gegenüber. »Sie sind fertig, Opa!« Sie wandte sich an mich und erklärte: »Wenn die Spagetti fertig sind, bleiben sie an der Wand hängen. Sonst fallen sie runter. Probiert ihr das auch so aus?«
    Ich schüttelte den Kopf und schaute mich um. Im Allgemeinen betrachte ich die Wohnungen anderer Leute immer sehr genau, weil es mich interessiert, wie sie leben, aber bei meinem letzten Besuch hatte ich auf nichts geachtet. Vielleicht, weil es schon fast Abend war, vielleicht auch vor lauter Aufregung. Jedenfalls hatte ich die Blumentöpfe und all die andern Sachen nicht gesehen, alle möglichen Schachteln und Erinnerungen von allen

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