Die schwarze Schatulle
womit. Ich schwieg.
»Wir dich bringen mit Auto nach Hause«, sagte Hirsch. »Dort fällt dir ein, du unterwegs nachdenken und dann nimmst Farben.«
»Jetzt?« Ich erschrak. »Das braucht Zeit und …«
»Schon«, sagte Hirsch. »Später wir alle gehen hin. Auch ganzen Abend.« Er wandte sich an Joli. »Du wartest hier.«
Sie war gekränkt, das hörte man an ihrem »Wieso denn?«. Hirsch sagte etwas zu ihr, aber ich hörte schon nicht mehr zu. Die Vorstellung, dass er mich jetzt nach Hause bringen wollte, erschreckte mich sehr. Was war, wenn er mit reinkommen wollte und meinen Vater sah? Und was sollte ich zu meiner Mutter sagen? Andererseits: Wie könnte ich zu ihm sagen, er solle draußen warten? Und warum wollte er mich nach Hause fahren? Warum trafen wir uns nicht alle am Kiosk, wenn wir schon dort sein mussten?
Hirsch ging hinaus, kam wieder, öffnete Schubladen, wühlte herum und brachte lauter Pulver zum Vorschein. Schließlich wählte er zwei aus: ein gelbes und ein rotes. Eigentlich war ich neugierig, was er alles hatte, vor allem interessierte mich, ob er einen Revolver besaß, aber ich konnte nicht aufhören zu überlegen, was passieren würde, wenn er bei meinen Eltern mit ins Haus kommen wollte.
Ich schaute auf die Uhr. Es war schon nach vier. Und ich hatte Jo’el noch nicht angerufen, unseren Trainer, der mich gestern gesucht hatte. Ich fragte, ob ich telefonieren dürfe. Hirsch sagte zu Joli, sie solle mich in ihrem Zimmer telefonieren lassen, da wär ich allein.
Jo’el fragte mindestens viermal, wo ich steckte, und erzählte, dass es seinem Knie langsam besser gehe, er aber noch nicht stehen könne. Erst danach erzählte er mir von dem Spiel. »Es ist ein entscheidendes Spiel, Schabi«, sagte Jo’el. »Eigentlich hätte eine Mannschaft aus Kiriat Schmona kommen sollen, aber sie haben im letzten Moment abgesagt. Deshalb seid ihr jetzt auserwählt, gegen die Mannschaft des Gymnasiums zu spielen. Es ist der wichtigste Wettkampf des Jahres und du weißt ja, wie das ist, ein Wettkampf hat seine eigenen Gesetze. Es ist egal, ob sie im Moment führen. Der Ball ist rund, also fangt ihr in zwei Tagen im Trainingslager mit der gezielten Vorbereitung an, und zwar so, dass euch der Rauch aus den Ohren kommt. Glaub mir, er wird euch aus den Ohren kommen. Wir werden gegen das Gymnasium nicht verlieren.«
Wenn das Trainingslager vorher schon ein Problem für mich gewesen war, so war es jetzt ein noch viel größeres. Denn wie konnte ich mich auf das Spiel vorbereiten, zur gleichen Zeit Esthers Wand bemalen und den verfolgen, der Benji bedrohte? Es gibt Leute, die tausend Dinge auf einmal können, meine Mutter zum Beispiel, aber das habe ich nicht von ihr geerbt. Nur dass ich alles ernst nehme, was man mir sagt, hab ich geerbt und ihre Locken. Und bei beidem weiß ich nicht, ob ich mich drüber freuen soll oder nicht. Ich ging in das große Zimmer zurück. Hirsch stand auf und nahm die Schlüssel vom Käfer.
»Wie lange wird es dauern«, wollte ich wissen.
»Was«, fragte er und warf mir einen Blick von der Seite zu, genau wie meine Mutter mich manchmal anschaut, wenn sie herauskriegen will, was in meinem Kopf vorgeht.
»Wie lange werden wir am Kiosk sein?«
»Vielleicht ganze Nacht. Warum?«
Ich gab keine Antwort. Was hätte ich auch antworten sollen? Dass ich niemandem sagen konnte, was wir vorhatten? Hirsch ging wortlos in das andere Zimmer und wir hörten, wie er am Telefon mit jemandem sprach, auf Englisch und auf Jiddisch. Erst nach einer Weile kam er zu uns zurück, legte einen Rucksack aus Leinen auf den Küchentisch und begann mit den Vorbereitungen. Er packte Kerzen ein, Streichhölzer, eine große Taschenlampe, die er mehrmals ausprobierte und eine Weile anließ, um zu sehen, ob das Licht nicht schwächer wurde.
Ich fragte ihn nicht, wozu er die Sachen mitten am Tag brauchte. Man muss nicht alles fragen, es gibt Dinge, die man von allein versteht. Und wegen dem, was ich von allein verstand, ohne zu fragen, geriet ich unter Druck, denn ich wusste plötzlich, dass es sehr spät werden würde.
Ich wusste auch, dass ich mich ebenfalls vorbereiten, das heißt dafür sorgen musste, dass es keine Probleme gab. Ich verließ die Küche und ging wieder ins andere Zimmer, um meine Mutter anzurufen.
Wenn man mit jemandem diskutiert und einem die Antwort, die man hätte geben müssen, erst später einfällt, nennt man das die Klugheit des Treppenhauses. So hatte es mir meine Schwester Carmela
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