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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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mich beherrscht und sein Hebräisch nicht korrigiert. »Eins versteh ich nicht«, hatte ich nur zu Hirsch gesagt. »Wenn wir dort alle am Kiosk sind, wird doch kein Einbrecher kommen. Wie können wir ihn dann fangen?« Hirsch hatte gelächelt und gesagt: »Wird in Ordnung sein.«

    Ich stand in meinem Zimmer und schaute mich um. Ich betrachtete meinen Tisch, die Regale, als könnte ich plötzlich meine schwarze Schatulle entdecken. Ich suchte in der Tischschublade, im Wandschrank, sogar in der Schuhschublade, als könnten mir wunderbarerweise Ölfarben oder Gouachefarben entgegenfallen oder Fingerfarben aus meiner Kindergartenzeit. Ich fand nichts, noch nicht mal eine halbe Dose Fingerfarben. Nur etwas anderes war in der Schublade, außer Schuhen: Tuben mit Schuhcreme, in Schwarz und Braun, und ich erinnerte mich plötzlich an die Geschichten, die Sohar von der Marine erzählt hatte. Viele Kadetten flogen raus, aus allen möglichen Gründen. Aber einer flog, weil er eine Wand bemalt hatte. Mit Schuhcreme hatte er den Diensthabenden nackt an die Wand vom Klo gemalt und manche Teile besonders betont. Sohar wollte mir nicht sagen, welche, aber ich konnte es mir vorstellen. »Weißt du, was ein Diensthabender bei der Marine ist«, hatte Sohar gesagt. »Das ist wie … wie ein Gott. Und die Schuhcreme bekommt man nicht mehr runter, mit nichts.« Ich steckte die Schuhcremetuben in eine Tüte, zusammen mit einer großen und einer kleinen Bürste. Ich nahm auch einen dicken Pinsel und einen Kohlestift fürs Skizzieren. Dann holte ich aus der Küche noch ein paar Lappen, bevor ich das Haus verließ. Wieder schaute mich Hirsch von der Seite an, als wolle er herausfinden, was in meinem Kopf vor sich ging, aber ich sagte nichts.
    »Alles in Ordnung«, fragte er.
    Ich nickte.
    »Sind Mutter und Vater daheim?«
    »Nein, nur meine Großmutter, und die hört nichts.« Jetzt schwindelte ich auch ihn an, denn mein Vater saß im Wohnzimmer und rauchte. Er hatte noch nicht mal den Kopf gehoben, als ich gekommen war. Meine Großmutter war in der Küche, sie hatte überhaupt nicht gemerkt, dass ich im Haus gewesen war.
    »Okay«, sagte Hirsch. Aber seine Stimme klang enttäuscht. Er ließ den Käfer an und fuhr los. »Vielleicht später ich sagen etwas zu deinem Vater und deiner Mutter?«
    »Was«, fragte ich. »Es gibt nichts zu sagen, es ist alles in Ordnung.« Er sollte nicht erfahren, dass ich zu Hause erzählt hatte, ich würde bei Uri schlafen. Außerdem verstand ich auch nicht, warum er so beharrlich war. Plötzlich wurde ich sauer. Wer bin ich, ein Baby? Warum will er seine Nase in meine Angelegenheiten stecken? Wenn er noch ein Wort sagt, dachte ich, dann schrei ich ihn an. Egal wie alt er ist. Es gibt doch so was wie den Schutz der Privatsphäre, oder? Aber er sagte kein Wort mehr. Auch wenn er etwas gesagt hätte, bin ich nicht sicher, ob ich den Mut aufgebracht hätte.
    Wir fuhren zu ihm zurück und Joli kam sofort aus dem Haus, als hätte sie die ganze Zeit am Fenster gestanden und gewartet. Vielleicht hatte sie gehofft, ich würde mit ihm sprechen, wenn wir allein waren, aber ich spreche mit niemandem über meine Privatangelegenheiten.

    Esther erwartete uns. Sie hatte gerade die Wand sauber gemacht. »Ich habe sie vorbereitet«, sagte sie. Nun schauten alle auf mich, als wüsste ich, was ich tun sollte. Am liebsten hätte ich gehabt, dass sie weggingen, ich mag es nicht, wenn mir jemand beim Malen zuschaut. Aber ich genierte mich, was zu sagen. Ich stand also vor der Wand und malte mit dem Kohlestift alle möglichen Linien. Auch als meine Hand mit dem Stift sich schon bewegte, wusste ich noch nicht, was ich malen würde. Ich zeichnete einen Strich in die Höhe, einen in die Breite, einen Kreis in die linke Ecke, als wüsste ich es schon genau, und dabei wusste ich gar nichts. Ich schaute die Straße entlang, aber nichts fiel mir ein. Ich betrachtete den Kiosk und er sah genauso aus wie vorher, einfach ein Kiosk, der abends nicht mal offen hat.
    Hirsch nahm inzwischen Esthers Fingerabdrücke und unterhielt sich mit ihr. Joli stand abwartend neben mir und schaute mir zu, ohne ein Wort zu sagen. Ich schaute von ihr zum Kiosk und plötzlich wusste ich es. Sofort holte ich die Schuhcremetuben aus der Tüte und legte den Lappen und die Bürsten neben mich.
    »Was ist das«, fragte Esther. »Das ist doch Schuhcreme. Damit malt man?«
    »Ist sehr gut«, sagte Hirsch. »Geht nie ab.«
    Woher wusste er das? Aber ich gewöhnte mich

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