Die schwarze Witwe: Thriller (German Edition)
knetete ihr Kreuz.
»Warum wollte mich Clymene sehen?«, fragte sie. Seitdem sie von Clymenes Flucht erfahren hatte, zermarterte sie sich den Kopf, was diese in Wirklichkeit von ihr gewollt hatte.
Kingsley zuckte die Achseln. »Sie wusste damals wohl bereits, dass sie bald entfliehen würde. Vielleicht war das Ganze ein Ablenkungsmanöver. Vielleicht macht sie sich aber wirklich um Grace Noel Sorgen und wollte vor ihrer Flucht sicherstellen, dass sich jemand um sie kümmert. Vielleicht war dieser Besuch auch Teil ihrer Fluchtvorbereitung. Immerhin musste sie an diesem Tag nicht ihren normalen Gefängnisverpflichtungen nachkommen. Ich habe keine Ahnung, aber es ist eine interessante Frage. Wir werden sie um eine Antwort bitten, wenn wir sie erwischt haben.«
»Glauben Sie, dass die Marshals sie finden werden?«, fragte Diane.
Kingsley schüttelte den Kopf. »Aber wir.«
»Sie haben ja großes Vertrauen in meine Fähigkeiten«, sagte Diane.
»Das habe ich tatsächlich. Sie haben doch sicher den Ausdruck auf Merricks und Drews Gesichtern gesehen. Sie können sich überhaupt nicht vorstellen, dass jemand sie austricksen könnte. Wie die meisten Polizisten halten sie alle Gefängnisinsassen für dumm. Sonst säßen sie ja gar nicht erst im Gefängnis. Natürlich sind viele dieser Häftlinge, gelinde gesagt, unterdurchschnittlich begabt. Aber es gibt auch solche wie Clymene, deren Klugheit und Verschlagenheit man auf keinen Fall unterschätzen sollte.«
Diane stand auf. »Ich muss mich jetzt mal meinem zweiten Job widmen. David fragt sich wahrscheinlich bereits, ob mich die US-Marshals vielleicht in Ketten gelegt und weggeschleppt haben.«
Sie schaute auf die Uhr an der Wand. Eigentlich war das Museum bereits geschlossen, aber Andie würde sicherlich noch in ihrem Büro auf sie warten. Diane musste erst einmal mit ihr sprechen, damit auch sie heimgehen konnte. Diane hatte während der Befragung durch die Marshals immer wieder leise Andies Telefon klingeln hören. Wahrscheinlich hatte sie sich den ganzen Tag mit besorgten oder wütenden Museumsspendern und aufdringlichen Presseleuten herumschlagen müssen.
»Haben Sie etwa auch ein Tatortteam für nächtliche Einsätze?«, sagte Kingsley, während er aufstand und sein Jackett glatt strich.
Diane grinste. »Selbstverständlich. Das gleiche wie das Tagesteam. Die ganze Nacht nimmt eine Telefonistin alle Einsatzanforderungen entgegen und alarmiert dann denjenigen, der gerade Bereitschaft hat. Wir wechseln uns ab. Bisher war die Verbrechensrate in unserer Stadt nicht so hoch, als dass wir ständig auf unseren Schlaf verzichten müssten.« Diane gähnte. »Schlaf war das richtige Stichwort. Der Staatsanwalt hat sich beim Warten auf meinen Anruf inzwischen wohl vor Ungeduld schon die Sohlen durchgelaufen. Werden Sie ihn noch heute Abend anrufen?«
»Ja. Er wird wohl uns beiden die Schuld an Clymenes Ausbruch geben«, sagte Kingsley. »Ich werde das arrogante Gehabe annehmen müssen, das man uns FBI-Agenten nachsagt.«
Diane begleitete Kingsley beim Hinausgehen noch bis zu Andies Büro.
»Ich rufe Sie morgen an«, sagte er und winkte ihr noch einmal zu.
Diane wandte sich Andie zu. »Ich habe gehört, dass Ihr Telefon ständig geläutet hat. Ich hoffe, der heutige Tag war trotzdem nicht allzu schlimm für Sie.«
»Für mich?«, sagte Andie. »Was sollen dann erst Sie sagen? Mich haben keine US-Marshals in die Mangel genommen. Worum ging es dabei eigentlich?« Mit ihren großen runden Augen sah sie in diesem Moment mehr denn je wie die kleine Waise Annie aus der gleichnamigen Comicserie aus.
»Es ging dabei nicht ums Museum«, sagte Diane.
»Oh, dunkle Materie«, sagte Andie. »Das ist eine Beruhigung.«
Nicht wirklich, dachte Diane. »Und was ist hier passiert? Worum ging es bei diesen Telefonaten?«
»Dieser Staatsanwalt kann einem wirklich auf den Wecker gehen. Eines weiß ich, bei der nächsten Wahl bekommt der meine Stimme nicht. Dann haben sich einige Leute nach dem Skandal erkundigt. Ich habe ihnen gesagt, dass wir das Ganze gerade untersuchen. Einige meinten, sie hätten für das Museum gespendet, und wollten jetzt wissen, was wir zu unternehmen gedächten. Ich sagte ihnen nur, dass Sie alles Nötige unternehmen würden. Natürlich wollten sie dann sofort mit Ihnen sprechen, und ich musste ihnen erklären, dass Sie gerade deshalb im Moment schrecklich beschäftigt seien. Manche wollten Kendel den Marsch blasen. Also wirklich, die Leute können manchmal
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