Die schwarze Witwe: Thriller (German Edition)
ihres ganzen Gesprächs hatte Diane das Gefühl, dass sich ihr Clymenes Persönlichkeit immer wieder entzog. Sie war jemand, den man niemals richtig kennenlernen konnte. Diane hätte nicht mit Worten ausdrücken können, warum sie so dachte. Es war nichts, was Clymene gesagt oder getan hätte. Sie war einfach immer viel zu glatt, da gab es niemals Ecken und Kanten. Hatte sie etwa ihr Treffen mit Diane zuvor vor dem Spiegel geprobt? Oder es wenigstens nachts im Geist durchgespielt, wenn das Licht ausgeschaltet und im ganzen Gefängnis Ruhe eingekehrt war?
»Sie sind eine gute Schauspielerin«, sagte Diane. »Warum haben Sie nicht das zu Ihrem Beruf gemacht – anstatt Mord?«
»Sie glauben, dass ich Ihnen etwas vorgespielt habe?«
In ihrer Stimme war keinerlei Böswilligkeit zu entdecken, aber Diane bemerkte doch eine gewisse Irritation. Sie schien verblüfft zu sein, aber nicht wütend. Sie zeigte niemals Anzeichen von Wut. Das fand Diane verdächtig.
»Das weiß ich nicht«, sagte Diane.
Clymene zog die Augenbrauen hoch. »Also was …? Warum halten Sie mich dann für eine gute Schauspielerin?«
»Ich habe Sie im Gerichtssaal beobachtet, und dort waren Sie eine völlig andere Person als heute. Ich weiß allerdings nicht, ob Sie damals oder jetzt geschauspielert haben, oder ob tatsächlich keine dieser beiden Persönlichkeiten Ihre echte ist.«
Vor Gericht hatte sich Clymene sehr stark zurückgenommen. Ihre Augen wirkten immer so, als ob sie im nächsten Moment in Tränen ausbrechen würde. Da war kaum etwas von der selbstbewussten Persönlichkeit zu merken, die jetzt vor Diane saß. Erst als sie in den Zeugenstand trat, war etwas von ihrer großen Selbstsicherheit zu spüren. Sonst trat sie wie eine Frau auf, die eher Opfer denn Täter war.
»Ich verstehe, was Sie meinen. Ich gebe zu, dass ich den Geschworenen in meinem Prozess etwas vorgespielt habe. Das können Sie mir allerdings nicht vorwerfen. Immerhin kämpfte ich um meine Freiheit. Und erzählen Sie mir ja nicht, dass Sie nicht auch diesen Geschworenen etwas vorgespielt haben, als Sie und Ihr Team dort wie die CSI-Ermittler angerauscht kamen. Hat Ihnen der Staatsanwalt nicht vorher erzählt, dass die Geschworenen so etwas heutzutage erwarten und von einer brillanten forensischen Analyse beeindruckt werden wollen?«
Diane zuckte nur ganz leicht mit den Schultern, da sie sich in diesem Punkt keine Blöße geben wollte. Tatsächlich hatte Clymene aber recht. Genau das erwarteten die Geschworenen heutzutage. Sie wollen eine große Forensik-Show erleben, und das hatte der Staatsanwalt vorher auch ihr und ihrem Team klargemacht.
»Ich würde die kriminaltechnischen Erkenntnisse, die wir dort vorgelegt haben, nicht gerade brillant nennen. Sie waren einfach überzeugend«, sagte Diane.
»Wenn man Ihnen zuhörte, klangen sie plötzlich brillant und umwerfend. Das soll jetzt keine Kritik sein, eher ein Kompliment. Wie Sie zum Beispiel diesen schmutzigen Wattebausch hervorzauberten und ihn in« – sie vollführte mit der rechten Hand eine Wellenbewegung – »in einen Mord verwandelten.«
»Wir hatten mehr als einen Wattebausch, der mit Clostridium tetani getränkt war.«
Clymene lächelte. »Ja, das hatten Sie tatsächlich«, sagte sie. »Etwa dieses Erinnerungsalbum.«
Diane lächelte zurück. Tatsächlich war dies das schwächste Glied in ihrer Beweiskette gewesen.
»Wie viele Frauen denken groß darüber nach, bevor sie ihre Familienfotos zurechtschneiden?«, sagte Clymene. Sie wirkte fast so, als ob sie jederzeit in Lachen ausbrechen könnte.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte Diane.
Clymene schüttelte den Kopf. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie gekommen sind und jetzt für mich nach Grace schauen wollen. Sie ist wirklich ein netter Mensch, der nur etwas Wärme und Liebe in sein Leben bringen möchte. Sie hat das, was Eric Tully mit ihr vorhat, wirklich nicht verdient.«
Diesmal wirkte sie ganz ehrlich. Welche Ironie, musste Diane denken. Nach ihren Erkenntnissen hatte auch Archer O’Riley nichts anderes gewollt, als er Clymene heiratete. Auch er wollte nur etwas Wärme und Liebe in sein Leben bringen. Stattdessen wurde er ermordet.
Kapitel 4
D ieser Besuch war doch noch in ganz zivilisierten Bahnen abgelaufen, dachte Diane, als sie den Besprechungsraum verließ. Selbst als Clymene kurzzeitig das Spielchen »Ich bin ja nur ein unschuldiges Opfer« spielte, tat sie das mit einem gewissen Humor. Diane hatte den Eindruck, dass
Weitere Kostenlose Bücher