Die schwarzen Juwelen 01 - Dunkelheit
anzunehmen, dass sie das je tun wird«, entgegnete Saetan angespannt.
»Nein? Sie wird ihrer Straße folgen, wo auch immer diese sie hinführen mag. Weshalb glaubst du, dass ein Kind, das keinen Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten erkennt, geistige Gesundheit und das Verzerrte Reich voneinander trennen kann?«
»Nein!« Saetan sprang aus seinem Sessel auf und trat vor das Kaminfeuer. Angestrengt versuchte er, die Vorstellung zu unterdrücken, wie Jaenelle in den Wahnsinn abglitt, weil sie nicht mit dem fertig wurde, was sie war, doch die Angst war stärker. Noch niemals in der Geschichte des Blutes war es vorgekommen, dass jemand Schwarz als Geburtsjuwel getragen hatte. Niemand sonst hatte je die Verantwortung – und die Einsamkeit – ertragen müssen, die unvermeidlich waren, wenn man in so jungen Jahren ein derart dunkles Juwel erhielt.
Außerdem wusste er, dass sie bereits Dinge gesehen hatte, die kein Kind zu Gesicht bekommen sollte. Die Geheimnisse und Schatten in ihren Augen waren ihm nicht verborgen geblieben.
»Gibt es niemanden in Terreille, dem du vertraust und der ein Auge auf sie haben könnte?«
Saetan stieß ein gequältes Lachen aus. »Wem würdest du vertrauen, Titian?«
Titian rieb nervös mit den Händen über den Stoff ihrer Hose.
Zum Zeitpunkt ihres Todes war sie kaum eine Frau gewesen, dachte er melancholisch. So zerbrechlich unter all der Stärke. Genau wie die anderen.
Titian fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich kenne einen Kriegerprinzen mit schwarzem Juwel, der sich manchmal um Hilfsbedürftige kümmert. Wenn man sich an ihn wendet, würde er vielleicht ...«
»Nein«, fiel er ihr barsch ins Wort, während in seiner Brust Stolz und Angst miteinander kämpften. Welch Ironie, dass Titian Daemon als angemessenen Beschützer betrachtete. »Er gehört Hekatahs Marionette Dorothea und wird sich letzten Endes ihren Anordnungen fügen müssen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einem Kind Leid antun würde.«
Saetan kehrte an den Schreibtisch zurück. »Vielleicht nicht aus freien Stücken, aber Schmerzen können einen Mann dazu bringen, Dinge zu tun, die er freiwillig niemals machen würde.«
Titian riss die Augen auf, als sie verstand. »Du vertraust ihm nicht.« Sie dachte eine Weile darüber nach und schüttelte dann den Kopf. »Du hast Unrecht. Er ist ...«
»Ein Spiegel.« Saetan musste lächeln, als sie fauchend die Luft einsog. »Ja, Titian, er ist Blut meines Blutes, Samen meiner Lenden. Ich kenne ihn gut ... und gar nicht. Er ist ein zweischneidiges Schwert und fügt der Hand, die ihn hält, ebenso Verletzungen zu wie dem Feind, den er bekämpft.« Er brachte sie zur Tür. »Ich danke dir für deinen Rat und deine Sorge. Sollten dir Neuigkeiten zu Ohren kommen, wäre ich dir dankbar, wenn du mich darüber in Kenntnis setzen würdest.«
Im Türrahmen drehte sie sich noch einmal um und betrachtete ihn eingehend. »Was ist, wenn sie genauso stark zu seinem Blut singt wie zu deinem?«
»Lady.« Leise schloss Saetan die Tür hinter ihr und sperrte ab. Zurück an seinem Schreibtisch schenkte er sich ein Glas Yarbarah ein und beobachtete, wie die kleine Feuerzunge,
die den Blutwein erwärmte, über den Schreibtisch leckte.
Daemon war ein guter Kriegerprinz, was bedeutete, dass er ein gefährlicher Kriegerprinz war.
Saetan trank das Glas in einem Zug aus. Er und Daemon passten zueinander. Glaubte er wirklich, dass sein Namensvetter eine Bedrohung für Jaenelle darstellte, oder handelte es sich um Eifersucht, insbesondere weil es sich bei dem Kriegerprinzen um seinen Sohn handelte? Da er diese Frage nicht ehrlich beantworten konnte, zögerte er, den Befehl für Daemons Hinrichtung zu geben.
Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Grund, nach Marjong dem Vollstrecker zu schicken. Daemon befand sich weit von Chaillot entfernt und aus irgendeinem Grund streifte Jaenelle nicht in Terreille umher, wie sie es in Kaeleer tat. Vielleicht hatte Titian Recht, was Daemon betraf, doch er konnte das Risiko nicht eingehen. Sein Namensvetter besaß die Gerissenheit, ein Kind zu umgarnen, und die Stärke, es zu zerstören.
Doch wenn Daemon zu Jaenelles Schutz hingerichtet werden musste, würde es nicht durch die Hand eines Fremden geschehen.
So viel schuldete er seinem Sohn.
Zweiter Teil
Kapitel 3
1Kaeleer
S ein Spiegelbild entlockte Saetan ein trockenes Lächeln. Das volle, schwarze Haar war an den Schläfen von mehr Silber durchzogen als noch vor fünf
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